Unser Barcelona von B über Z bis hin zum A -- Teil 5: N O
Teil 5: N O
N:
wie...Nachbarn, sowie NIE
Nachbarn
Da in Barcelona die Wohnungen unglaublich hellhörig sind, so hellhörig nämlich, dass man bisweilen glauben möchte, es gäbe gar keine Wände, Fenster und Türen, ist es umso wichtiger, nette (und ruhige!) Nachbarn zu haben. Intimsphäre unter Nachbarn gibt es nämlich nur visuell, aber sicher nicht akustisch oder olfaktorisch! Toiletten- und Schlafzimmergeräusche, sowie Küchendüfte und fallweise bei Niederdruckwetter leider auch Abflussgerüche, werden praktisch barrierefrei von Nachbar zu Nachbar weitergegeben. Wer sind also diese Leute, über die man mehr weiß, als einem oft mal lieb ist (und umgekehrt)? Im Großen und Ganzen haben wir Glück mit unseren Nachbarn. Schräg über dem Flur wohnt ein Ehepaar, das wir „die abuelos“ (die Großeltern) nennen, weil bei ihnen ständig Kinder und Enkelkinder ein- und ausgehen und sie sich auch zu unseren Kindern sehr großelterlich und herzlich verhalten. Beide sind riesige Barça-Fans und plaudern besonders gern mit Rudolf über ihre Fußballleidenschaft.
Von unserer Nachbarin zur Rechten, mit der wir uns den Balkon quasi teilen, bekommen wir nicht wahnsinnig viel mit. Sie scheint nur selten zuhause zu sein. Da unsere Balkone aber nur durch eine semiblickdichte Glaswand getrennt sind (die bei Sturm auch immer entsetzlich scheppert und kracht), stört es uns nicht, dass wir sie nur so selten sehen. Gern gesehener Gast am Balkon sind jedenfalls die Bienen, die regelmäßig bei uns vorbeischauen:
Im Nebenhaus, aber direkt angrenzend an unseren kleinen Schlafzimmerbalkon, wohnen die „Fundi-Puffer“, die wir deshalb so genannt haben, weil sie ihren Balkon mit katalanischer Fahne und Unabhängigkeitsparolen geschmückt haben und von früh bis spät Joints puffen, deren würziger Kräutergeruch sich sodann in unserem Schlafzimmer ausbreitet. Wer weiß, vielleicht hatten wir es den Fundi-Puffern zu verdanken, dass wir trotz des Großstadtlärms wirklich immer besonders gut geschlafen haben! Wer jetzt befürchtet, dass unsere Nachbarn desolate Drogensüchtige waren, der sei beruhigt: In Barcelona ist der Haschisch-Konsum im privaten Bereich erlaubt, auch in Parks oder auf Bänken in der Stadt darf man mit seinem Joint gemütlich sitzen. Wie man bei einem Stadtspaziergang schnell riechen kann, kommt das gar nicht so selten vor.
Genau unter uns wohnt eine Familie mit drei kleinen Buben – ein Baby und zwei Kleinkinder im Alter von etwa 2 und 4 Jahren. Interessant ist, dass wir die drei Kleinen jeden Abend ab etwa 22h extrem laut wirbeln hören – Gekreisch, Geschrei, Toben, dann das Rauschen von Dusche oder Badewanne, Gesang, Ordnungsrufe der Eltern, Spiellärm usw. bis etwa kurz vor Mitternacht. Untertags hören wir die Kinder hingegen überhaupt nicht, und das nicht einmal während des Lockdowns. Wir haben dazu drei mögliche Theorien entwickelt: 1) die Kinder sind untertags so müde vom späten Herumtoben, dass sie den ganzen Tag über schlafen und erst abends wieder aufwachen. 2) die Kinder sitzen den ganzen Tag vor dem TV oder dem Tablet oder 3) unsere eigenen Kinder sind untertags so laut, dass wir die anderen Kinder einfach nicht hören können! Bis zuletzt bleibt dieses Rätsel für uns ungelöst.
Von der Familie über uns hören wir praktisch nichts – die beiden Teenagersöhne sind leise wie die Mäuschen. Riechen können wir sie hingegen gut: Wenn sie im Lichtschacht oberhalb von unserem Küchenfenster die Wäsche aufhängen, riecht unsere ganze Küche nach dem extrem parfümierten Weichspüler, den sie verwenden. Den Vater der Familie, einen feschen spanischer-Banker-Typ, sehe ich regelmäßig vor dem Haus oder im Foyer. Er ist immer wie aus dem Ei gepellt, mit Dreiteiler und Krawatte, die Haare stets akkurat gestutzt. Als wir nach einigen Wochen des Lockdowns endlich wieder die Wohnung verlassen dürfen, erkenne ich ihn kaum wieder: Aus seiner gepflegten kurzen Bankerfrisur ist ein richtiger 70er Jahre Afro geworden.
Ansonsten wohnen in den Häusern hauptsächlich spanische Familien, aber auch ein paar Ausländer (ein anderes österreichisches Paar, eine Deutsche mit ihrer Tochter, Franzosen, und einige Italiener), sowie sehr viele kleine Hunde. Man ist höflich und ruhig, wenn man sich in den Gemeinschaftsbereichen trifft. Für ein Tratscherl ist in typisch spanischer Manier immer Zeit – vor allem nach 17h30, wenn sich viele Bewohner draußen in der Fußgängerzone vor den Häusern versammeln. Die Kinder flitzen mit den Rollern, spielen Ball, die Hunde werden ausgeführt, so mancher kommt von der Arbeit oder vom Einkaufen nach Hause und nimmt sich vor dem Hineingehen noch die Zeit für einen kurzen Schwatz. Mittendrin arbeiten und tratschen die vier Conserjes. Auch immer dabei: „Mämchens Freund“. „Die vier Häuser sind wie ein Dorf in der Großstadt!“ erklärt uns Vermieter Bernardino bei unserem Einzug und sollte damit ganz recht haben.
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NIE
Jeder hat in seinem Leben gewisse Nummernkombinationen, die man eine Zeitlang so intensiv braucht, dass man sie nie wieder vergisst. Bei mir sind das so manche Festnetztelefonnummern aus der Kindheit, meine Matrikelnummer und jetzt auch: Meine NIE. „Igriegasietetreiscincodiezquinzeguionbecomobarcelona“ habe ich so oft und in so vielfältigen Situationen gesagt, dass ich es sogar im Schlaf wiederholen könnte. Die „Número de Identidad de Extranjero“ (Ausländer-Identifikationsnummer) ist für in Spanien ansässige Ausländer fast noch wichtiger als der eigene Name, so scheint es zumindest. Es handelt sich dabei um eine Identifikations- und Steuernummer, die jeder Ausländer über 14 braucht. Es gibt wirklich keine Transaktion, die man ohne NIE tätigen kann – nicht einmal online eine Pizza vom Lieferdienst bestellen oder Kinokarten reservieren. Sogar dem Paketboten muss man die Nummer jedes Mal diktieren, wenn man sein Päckchen entgegen nehmen will. Im Lockdown wurden die Pakete nur im Erdgeschoss in den Aufzug gestellt und menschenlos zu uns in den zweiten Stock geschickt – da mussten wir die NIE dann über die Gegensprechanlage oder vom Balkongeländer hinunter rufen. Dafür hat man seine NIE auf Lebenszeit, sie gehört einem ganz alleine und wurde und wird niemals einem anderen Menschen in dieser Form gegeben werden können. Das kann man nicht von vielem behaupten! Vom Namen oder dem Geburtsdatum mal sicher nicht (wobei ich persönlich mit Rütgen-Dömötör namensmäßig ziemlich auf der sicheren Seite bin, wage ich zu behaupten). Wenn man den steinigen Weg zur NIE also erst einmal erfolgreich beschritten hat (siehe auch den alten Vor-Auswanderungsbeitrag: „Ohne NIE ist alles NIX“), hat man in seiner NIE einen Begleiter fürs Leben gefunden. Sollten wir also jemals wieder in Spanien ansässig werden – und sei es in 20 Jahren, die NIE wird immer dieselbe sein.
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O:
wie...Obrigkeitshörigkeit, sowie Ostern
Obrigkeitshörigkeit
Die Obrigkeitshörigkeit der Katalanen gehört für mich zu den absolut überraschendsten, eigentlich sogar verblüffendsten Erkenntnissen, die wir aus unserem Auslandsjahr ziehen. Wer sich, so wie ich, dem Klischee der lässigen Südländer hingibt, die nicht jede Regel so ganz starr auslegen und auch mal fünf gerade sein lassen, der irrt. Im Vergleich mit den Katalanen sind sogar die ordnungsliebenden Deutschen gesetzesbrecherische Anarchofundis! Von den Österreichern, die mit ihrem „na schauma mal“, „na wird schon passn“, „werma scho irgendwie“ kleine Alltagsregeln gern einmal nach persönlicher Befindlichkeit und Bequemlichkeit zurechtbiegen, sind die Katalanen hingegen noch meilenweiter entfernt. Gesetze, Regeln, Ordnungsrahmen? Dazu da, um eingehalten zu werden. „Ziviler Ungehorsam“? Vielleicht ein bisserl nur? Bitte hier sicher nicht! Selbst so ein klitzekleines „machma das gschwind, jetzt schaut eh grad keiner her“ ist hier gesellschaftlich wirklich verpönt. Jetzt ist mir auch klar, warum das hier in Katalonien mit dem Rauchverbot in Lokalen so gut funktioniert hat – einfach weil es von oben angeordnet wurde.
Im Alltag macht sich das in Kleinigkeiten bemerkbar, wie beispielsweise dem ordentlichen Anstellen, wo nötig. Vorgedrängt wird nicht, gedrängelt und gemeckert auch nicht. Begeht man einmal (absichtlich oder unabsichtlich) einen Regelverstoß, wird man gleich von Zeugen darauf hingewiesen. Da wird dann auch nicht diskutiert, sondern einfach gefolgt. Folgt man dann aber nicht, erntet man schon auch einmal sehr entrüstete Blicke, weil „das geht doch nicht!“. Genauso werden auch die Kinder erzogen. Auf Spielplätzen oder am Strand kann man oft Situationen beobachten, in denen Kinder richtig streng gemaßregelt werden, wenn es um kleine Zwistigkeiten („XY hat meine Schaufel genommen!“) geht. Interessanterweise würden sich die Katalanen selbst als überhaupt nicht so obrigkeitshörig bezeichnen, wie man es als Außenstehender beobachten kann. Im Gegenteil, sie finden sich selbst ziemlich lässig und entspannt und betonen das auch gern, wenn sie es dann doch ausnahmsweise mal mit einer Regel nicht so genau nehmen. Als der Dreijährige von Freunden von uns mit dem großen Bruder in einem Kinderklettergarten spielen will, der aber laut Hinweistafel erst ab vier ist, wird ihm der Einlass nach kurzer Beratung dann gönnerhaft mit den Worten „Wir sind ja hier in Spanien!“ gewährt.
Besonders augenscheinlich wird die Regeltreue der Katalanen natürlich während des nationalen Notstands ab Mitte März. Staunend beobachten wir, wie akribisch und streberhaft sämtliche Vorgaben und Empfehlungen der Generalitat umgesetzt werden. Der Govern spricht: „man gehe mit Duschhaube zum Einkaufen, damit sich kein Virusstaub in den Haaren festsetzen kann!“ Am nächsten Tag sehen wir vom Fenster aus etliche Leute mit kessen Badehauben. Der Govern empfiehlt: „nach dem Einkaufen bildet ihr im Vorzimmer eine Sanitätsschleuse, wo ihr euch komplett nackt auszieht und die Kleidung in einem großen Müllsack möglichst luftdicht verschließt. Das kann dann vorsichtig aus dem Müllsack direkt in die Waschmaschine verfrachtet werden. Ihr geht dann bitte duschen und Haare waschen, am besten mit sehr heißem Wasser.“ Katalanische Bekannte machen das tatsächlich. Sie sagen dazu zwar auch, dass sie das für fast etwas übertrieben halten, aber nachdem es die Regierung empfiehlt… Die Maskenpflicht wird auch nicht diskutiert, sondern einfach eingehalten. Betritt eine Person ohne Maske einen Laden, wird sie höflich gebeten, sich entweder eine Maske aufzusetzen, oder den Laden zu verlassen. Das wird dann einfach befolgt und sicher nicht diskutiert. In die Bäckerei darf man nur einzeln eintreten, es schüttet aber wie aus Schaffeln? Geduldig wartet man draußen und wird halt waschelnass. Als die Maskenpflicht im Freien für alle Personen über 6 Jahre eingeführt wird, geschieht dies zunächst mit der Fußnote: „überall dort, wo der Sicherheitsabstand von 1,5m nicht gewährleistet ist, wie z.B. auf schmalen Wegen“. Schmale Wege findet man natürlich nicht nur in der Innenstadt, sondern auch in Parks, im Wald oder einfach auch entlang von Straßen, wo wenige Leute unterwegs sind. Wenn ich mit den Kindern solche einsamen Wege entlangspaziert bin, haben wir keine Masken getragen, selbst wenn wir keine 1,5m Platz zum Ausweichen gehabt hätten – wozu denn auch, solange wir niemanden treffen? In spanischen Augen grenzt das schon an Anarchie – die Katalanen sind sogar ganz allein im Wald maskiert. Wurde ja so angeordnet. Als nach dem Lockdown unser Pool endlich wieder geöffnet wird, werden auch neue Poolregeln ausgehängt. In dem großen Becken dürfen sich ab sofort nur mehr 10 Personen gleichzeitig aufhalten. Das lässt sich ganz gut bewerkstelligen, meistens sind eh nicht so viele Menschen gleichzeitig im Garten. Eines Samstag Vormittags kommt es aber zu der Situation, dass sich auf einmal ganze 11(!!!!!!!!!) Kinder gleichzeitig im Pool befinden. Die 11 Kleinen haben meiner Meinung nach immer noch genug Platz, um Abstand voneinander zu halten. Die katalanischen Nachbarn werden merklich nervös, beginnen zu mauscheln, aufgeregt am Rand des Beckens auf und ab zu laufen, die Kinder zu zählen und wieder zu zählen. Ja, es sind wirklich 11 und damit ein Kind zu viel. „Perdonat!“, ruft da auch noch ein älterer Herr vom Balkon herunter, „im Wasser sind 11 Kinder! Erlaubt sind nur 10!“ Schließlich schmeißen die Mütter die Nerven weg und beordern alle Kinder aus dem Wasser, nicht ohne noch darüber zu zetern, dass das doch so nicht ginge, 10 ist die Vorgabe und auf einmal sind es 11! Im Endeffekt sind dann nur mehr meine drei im Wasser und ich gebe mich ausländisch-ignorant und nonchalant. Neben mir sitzt unser italienischer Nachbar in der Wiese und genießt die warmen Sonnenstrahlen. „Welcome to Catalunya!“ grinst er mir zu.
Der einzige Bereich, wo man sich nicht ganz so streng an die Gesetze halten will, ist im Straßenverkehr. Das ist hier so universell und alltagsdurchdringend – und nicht zuletzt gefährlich! – dass ich dem (bald!) einen eigenen Beitrag unter „V wie Verkehr“ widmen werde.
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Ostern
Auf die spanischen Osterfeierlichkeiten hatte ich mich im Ausblick auf das Jahr schon besonders gefreut: Prozessionen, Umzüge, Fiestas, Konzerte… das Osterfest wird in diesem streng katholischen Land sehr intensiv und ausgiebig zelebriert. So ist zum Beispiel der Ostermontag neben dem katalanischen Unabhängigkeitstag und dem Christtag der einzige von drei Tagen im Jahr, an dem wirklich ausnahmslos alle Geschäfte geschlossen haben – sogar die kleinen pakistanischen Rund-um-die-Uhr-tagaus-tagein Greißler, die Chinos und auch viele Restaurants und Bars. Dafür kann man, wenn es einen denn gelüstet, in der Karwoche fast rund um die Uhr in die Kirche gehen.
Was meine Vorfreude auf die Ostertage noch verstärkt hatte, war die Ankündigung dreier Freundinnen, mit ihren Familien die Osterferien in Barcelona zu verbringen. Die Kirsche ganz oben am Kuchen: Mein Geburtstag sollte 2020 auch in die Karwoche fallen! Eine Zeit voll der Highlights sozusagen, bis… ja, bis. Als am 15. März der nationale Notstand ausgerufen wird, regen sich in mir schon leise Zweifel, dass die Osterfeiern, die Ferien und mein Geburtstag genauso ablaufen würden können, wie geplant. Dabei kommt es dann sogar noch schlimmer: Die Osterzeit verbringen wir im vollkommenen Lockdown, was bedeutet, dass die Erwachsenen die Wohnung nur für dringende Besorgungen verlassen dürfen, die Kinder hingegen überhaupt drinnen bleiben müssen. Wir wollen uns davon nicht verdrießen lassen und vertreiben uns die Zeit mit Osterbasteleien und Osterhasenliedern von Rolf Zuckowski – die wir zum Gaudium der spanischen Nachbarn laut am Balkon trällern. Ostereierfärben gehört natürlich auch dazu, allerdings gibt es keine Farbe zu kaufen. Selbst Eier zu färben, ist in Spanien nicht üblich – ich bin mir eigentlich gar nicht sicher, ob man hier überhaupt bunte Hühnereier verschenkt, im Supermarkt haben wir nämlich nur Schokoeier gesehen. Ich experimentiere und mische Lebensmittelfarbe mit Essig und warmem Wasser und so erzielen wir einen ganz hübschen Effekt auf Hühner- und lieben gesprenkelten Wachteleiern.
Wir schmücken die Wohnung österlich mit selbstbemalten Styropor- und Kartoneiern und lesen Osterhasenbücher. Zum Glück ist das Wetter schön, und so verbringen wir fast den ganzen Tag am Balkon. Es ist zeitweise sogar so heiß, dass die Kinder sich Badehose und Bikinis anziehen und draußen in der Sonne liegen.
Wenn ich dran denke, dass ich mich zu den Ostertagen und meinem Geburtstag 2020 in der Planung des Auslandsjahrs immer am Strand mit der Familie und lieben Freunden gesehen habe… wann immer dieser Gedanke an die Oberfläche dringen will, schiebe ich ihn ganz schnell wieder weg von mir.
Am Gründonnerstag koche ich selbstverständlich Spinat, am Karfreitag Gemüsesuppe. Für den Ostersonntag haben wir etwas Besonderes geplant: Ein Fondue! Auch wenn im Lockdown im Prinzip ein jeder Tag wie der andere ist, sollen sich die Ostertage doch so weit es geht aus dem Einheitsbrei abheben und gewissermaßen festlich sein. Weil Corona-bedingt derzeit aber nur eine gewisse Anzahl an Personen in den Supermarkt hineingelassen wird und sich davor lange Warteschlangen bilden, muss man für den Feiertagseinkauf einige Stunden einplanen. Das will ich uns ersparen, und versuche den Einkauf online zu erledigen und liefern zu lassen. Seit Wochen sind aber praktisch alle Lieferslots ausgebucht, doch ich habe riesiges Glück und ergattere eines der letzten freien Zeitfenster bei der Supermarktsparte der Kaufhauskette El Corte Inglés – allerdings am Ostersonntag um 8h Früh. Das ist natürlich nicht so schön, aber andererseits muss ich mir dann auch ehrlicherweise eingestehen, dass es nach wochenlangem Lockdown und Taggleiche eigentlich auch kein Grund zum Jammern ist, wenn man einmal früher aufstehen muss. Ich bestelle freudig alles, was wir für ein schönes, festliches Osterwochenende brauchen. Im Gegensatz zu anderen Supermarktketten, wo viele Produkte seit Wochen nicht mehr online bestellt werden können, scheint bei Corte Inglés alles verfügbar zu sein. So ein Glück! In mein virtuelles Einkaufswagerl wandern Fleisch fürs Fondue, feiner Schinken fürs Osterfrühstück (wenn die schon um 8h kommen, geht sich das auch noch prima aus!), Obst, Gemüse, Säfte, guter Wein zum Fondue, Knabbereien und Snacks, ein Cheesecake für die Nachmittagsjause, Eier, Joghurt, Brot… und vieles mehr. Am Ostersonntag stelle ich mir den Wecker, damit ich rechtzeitig fertig bin, bevor der Lieferdienst kommt. Um 8h läutet er jedenfalls noch nicht – auch nicht um 8h30. Inzwischen sind die Kinder auch schon aufgeregt aus den Betten gesprungen und suchen die Nesterl und Eier, die der Osterhase trotz Lockdown auch bei uns in der Wohnung und am Balkon verstecken konnte.
Man beachte im Bild bitte auch die Tube "Tafelkren", die ich seit Weihnachten im Vorratsschrank gehütet hatte -- sowas gutes wie Kren, schon gar nicht frischen Kren, gibt es hier nämlich nicht!
Ich hoffe, dass der Lieferant nicht mitten in die Eiersuche hineinplatzt, stelle dann aber fest, dass die Sorge unbegründet war: Als wir uns um 9h zum Osterfrühstück hinsetzen wollen, war er nämlich eh noch immer nicht da. Leider fehlt uns nun der feine (und teure) Schinken, den ich extra bestellt hatte, und so mache ich kurzerhand eine Packung des „Alltagsschinken“ auf und wir essen den. Ich habe mich zum ersten Mal an einem Osterstriezel versucht und musste mangels Germ (die auch hier im spanischen Lockdown komplett ausverkauft ist) auf ein Rezept mit Topfen und Backpulver ausweichen. Topfen gibt es in Spanien ja auch nicht, und so kommt stichfestes griechisches Joghurt zum Einsatz, woraufhin der Teig so patzig und pickig wird, dass man ihn auch als Fliesenkleber verwenden hätte können. Der Striezel selbst wird darob kein edel geflochtener Zopf, sondern ein unförmiger, hässlicher Gebäcksbrocken mit unregelmäßiger Mondkrater-Oberfläche, den die Kinder zwar grausam auslachen, aber dann trotzdem in Blitzeseile verputzen.
Von den Nachbarn finden wir einen lieben Brief und etwas Schokolade für die Kinder vor der Tür. Wir hatten ihnen in der Osternacht Nester auf die Türmatten gestellt, mit einer österlichen Karte dazu. Nun, da wir alle so isoliert in unseren Wohnungen sitzen müssen, gibt das ein kleines Gefühl von österlicher Gemeinsamkeit.
"Liebe Nachbarn! Frohe Ostern! Dieses Jahr feiern wir das Osterfest auf eine ganz andere Art und Weise als sonst, in sehr seltsamen und schwierigen Zeiten. Sei wie es sei, das Osterfest ist das Fest, in dem das Leben über den Tod triumphiert und das uns zeigt, dass es immer Hoffnung und Liebe geben wird. Wir umarmen euch, A,R,K,P und R."
„Tot anirà bé!“ schreibt uns die abuela Carmen auf Katalanisch, und ich muss heimlich ein bisschen weinen. „Alles wird gut!“.
Das betrifft aber zumindest nicht die Lebensmittellieferung. Es wird 10h, keiner da. 11h, 12h… immer noch nichts. Ich rufe in der Corte-Inglés-Hotline an und hänge ewig erfolglos in der Warteschleife. Keine Antwort. Um 13h müssen wir uns eingestehen, dass es mit dem Ostersonntags-Mittagessen-Fondue wohl nichts mehr werden wird, aber „macht ja nix, dann machen wir unser Fondue halt am Ostermontag!“. Zum Glück habe ich noch Frankfurter im Kühlschrank und ein paar Hotdog-Brötchen in eiserner Reserve und so besteht unser festliches Ostermahl aus selbstgemachten Hotdogs. Den Kindern schmeckt‘s, und das ist wie immer die Hauptsache. Am mittleren Nachmittag läutet es endlich an der Tür. Hurra! Ein abgestrudelter, verschwitzter Lieferant steht draußen, drückt mir ein überraschend kleines und leichtes Sackerl und einen Lieferschein in die Hand und fragt, ob ich auch Dinge bestellt habe, die in den Kühlschrank gehören. Ich entgegne verblüfft: „ja, der Großteil meiner Bestellung gehört in den Kühlschrank!“. Nun, diese Dinge hätte er jetzt nicht bei sich, damit würde er etwas später wiederkommen. Spricht’s und verschwindet im Aufzug. Ich bin so perplex, dass ich gar nicht rechtzeitig reagieren und ihn zumindest nach seinem Namen fragen kann. Ich kontrolliere den Inhalt des Sackerls und stelle fest, dass einige Ostergoodies fehlen, auf die ich mich gefreut hatte: Allen voran der gute Wein! Aber auch die Knabbereien und Snacks sind nicht da. Laut Lieferschein: „fuera de stock“, also „ausverkauft“. Zumindest Teile von Obst und Gemüse sind angekommen, unter anderem auch ein Bund Schnittlauch, den ich für die Schnittlauchsauce zum Fondue bestellt hatte. Was aber nicht dabei ist (weil Kühlware): Das Joghurt und die Creme Fraiche, die die Basis der Sauce gebildet hätten. Rudolf hat die Transaktion nicht so mitbekommen und ruft freudig in die Küche: „na, sind jetzt alle Zutaten fürs Fondue im Haus?“. „Nein, leider!“, antworte ich ihm und muss dann doch irgendwie galgenhumorig lachen: „Die einzige Fonduezutat, die wir erhalten haben, ist der Schnittlauch für die Schnittlauchsauce!“. An diesem Tag taucht der Bote jedenfalls nicht mehr auf, um mir die ausständigen Waren im Wert von etwa 50 Euro noch zu bringen. Auch am nächsten Tag nicht, und nicht am übernächsten. Sämtliche Anrufe und Emails meinerseits an das Corte Inglés Kundencenter bleiben unbeantwortet. Mittlerweile will ich das Fleisch, die Milch und den Schinken eh schon nicht mehr haben, weil ich ja auch nicht sicher wissen kann, wo das in der Zwischenzeit gelagert worden war, aber ich will Gerechtigkeit und vor allem: Mein Geld zurück!
Am darauffolgenden Donnerstag erwarte ich die nächste Corte Inglés Lieferung, die ich zeitgleich mit der Osterbestellung aufgegeben hatte. Diesmal läutet der Bote pünktlich. Schau, schau, es ist der gleiche Bursche wie am Sonntag. Er will mir meine Sachen in die Hand drücken (heute sogar inklusive Kühlware) und sich ganz schnell aus dem Staub machen, aber diesmal lasse ich ihn nicht so einfach gehen. „Wo sind meine anderen Sachen?“ keife ich erbost, „du hast mir am Sonntag versprochen, dass du sie später bringst! Was ist dieses ‚später‘? Nächstes Jahr?“ Erschrocken schaut er mich an. „Calmate mujer! Por favor, calmate!“ (beruhig dich, Frau) spricht er mit angsterfülltem Blick, was mich in meinem Zorn nur noch mehr beflügelt. „Was heißt, ich soll mich beruhigen? Mir fehlen Waren im Wert von fast 50 Euro! Wo sind die?“ „Ich rufe gleich in der Zentrale an“, murmelt er kleinlaut und will schon in den Aufzug steigen. „Ruf jetzt an! Hier! Das will ich sehen!“ schimpfe ich weiter. Er telefoniert und sagt mir dann, dass ich eine Rückerstattung vom Kundendienst kriegen würde. Das hilft mir zwar nur begrenzt weiter, weil der Kundendienst von Corte Inglés ja seit Tagen auf Tauchstation ist, ich bin aber so weit befriedet, dass ich mir gönnerisch denke: Nun gut, der Bursch kann wahrscheinlich auch nichts dafür. Ich lasse ihn ziehen und habe zumindest das gute Gefühl, es ihm ordentlich reingesagt zu haben, wenngleich ich trotzdem ohne Waren und ohne Geld dastehe.
Wochen vergehen. Ich bombardiere den Kundendienst mit Nachrichten und Anrufen. Ohne Erfolg. Irgendwann platzt mir der Kragen und ich hinterlasse auf der Facebook Fanpage des Corte Inglés, unter einem ihrer „Egal was da kommt, wir sind immer an deiner Seite“-Postings, komplett mit Paolo Coelho Kalenderspruch und weichgezeichnetem Blumenbild, ein derart zorniges Wutbürger-Posting in Großbuchstaben und mit ganz vielen Rufzeichen, dass sich innerhalb von wenigen Minuten der Kundendienst bei mir meldet. Na geht doch. Aber warum muss man immer erst schimpfen? Das Geld bekomme ich dann auch wieder zurück. Bestellt habe ich dann dort trotzdem nichts mehr.
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