Unser Barcelona von B über Z bis hin zum A -- Teil 3: H I J K

Teil 3: HIJK

Wie schon im Beitrag "Unser Barcelona von B über Z bis hin zum A Teil 1: BCD" beschrieben, habe ich in alphabetischer Übersicht unsere Eindrücke, Erlebnisse, Highlights des vergangenen Jahres zusammengefasst. Eine ausführlichere Einleitung, bzw. Erläuterung, sowie die Buchstaben B, C und D findet ihr im Teil 1.
Hier geht es erst einmal weiter mit den Buchstaben H, I, J und K.
 

H:
wie... Hunde und Katzen, sowie Hilfsbereitschaft

Hunde und Katzen

Die Barcelonesen verehren ihre Mascotas, also Haustiere! Während Kinder während des Lockdowns 44 Tage lang die Wohnung nicht verlassen durften, durften Haustiere immer raus. Hunde in allen Größen, Farben und Formen prägen jedenfalls das Straßenbild und sind auch überall gern gesehen. Leider lässt die Hundstrümmerl-Wegräumungsdisziplin sehr zu wünschen übrig und so wird so mancher Spaziergang zum Hundehaufenhindernisparcours. Interessanterweise sind die barcelonesischen Hunde insgesamt sehr entspannt; Sie wirken weitaus entspannter als ihre österreichischen Kollegen. Es wird kaum gebellt oder geknurrt, nervöses Gehabe sieht man kaum. Warum das so ist, kann ich als weder-in-Ö-noch-in-E Hundebesitzerin leider nicht sagen. Es ist aber sowohl Rudolf als auch mir unabhängig voneinander aufgefallen. Wo ich in Österreich bei manchen Hunden im Hinblick auf die Kinder schon etwas nervös bin, musste ich das in Barcelona nie sein – die Hunde sind, wie gesagt, tiefenentspannt und in der Regel sehr freundlich.

Auch Katzen prägen das Stadtbild. Einerseits gibt es die Haustierkatzen, die man auf Balkonen oder in Fenstern sitzen sieht, oder vereinzelt sogar angeleint beim Gassigehen mit ihren Besitzern. Andererseits gibt es doch etliche Streuner, die sich in Parks und Grünanlagen ansiedeln und da dann wild leben. Auf dem Vordach und im Garten des Hotel Senator Spa neben unserem Wohnhaus lebt ein Rudel wilder Katzen, die untertags meistens im warmen Kies des Vordachs in der Sonne liegen und am Abend durch die Büsche rund ums Hotel streunen. Wenn der Springbrunnen gegen 22h abgeschaltet wird, laufen sie zum Brunnenrand, um das herrlich brackige Brunnenwasser zu trinken. Die Katzen gehören zum Hotelinventar dazu, werden vom Personal gefüttert und wohlgelitten. Alle paar Wochen rückt einer der Gärtner auf das Vordach des Hotels aus, um den Kies zu rechen und von Katzenkot zu befreien. Manchmal, wenn Gästen ein Handtuch oder T-Shirt aus dem Fenster fällt und am Vordach zu liegen kommt, streiten sich die Katzen gleich fauchend und pratzelnd darüber, wer diesen bequemen Liegeplatz ab nun für sich beanspruchen darf. Als das Hotel dann Mitte März auch geschlossen wird (bis heute, Ende Juli 2020 ist es noch zu), beobachten wir, dass Leute aus der Nachbarschaft beginnen, die Katzen zu füttern. Als wir dann auch endlich wieder rausdürfen, kaufen die Kinder und ich auch Katzenleckerlis und spazieren hin und wieder bei den Katzen vorbei, um ihnen ein paar Leckereien anzubieten. Speziell die Mädels schließen die Katzen sehr ins Herz, geben ihnen Namen und träumen davon, die eine oder andere mal einzufangen und zu uns in die Wohnung zu holen. Die Katzen sind allerdings scheu, kommen zwar neugierig in die Nähe, lassen sich aber absolut nicht streicheln.

    
Der braune Haufen links im Bild ist etwas Trockenfutter, das die Kinder für die Katzen hier ausgestreut haben. Die schwarzweiße Katze wurde von Klara "Mikusch" getauft, das graue Tigerchen "Graustreif".

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Hilfsbereitschaft

Die Barcelonesen sind ein sehr hilfsbereites Volk. Wenn man sich mit Fragen an sie wendet, tun sie ihr Möglichstes, um bei der Lösungsfindung behilflich zu sein – und freuen sich dann von Herzen mit, wenn eine Lösung gefunden werden konnte. Die unnahbaren, unzugänglichen Katalanen habe ich in dieser Hinsicht nie kennengelernt. Alten Menschen wird in manchen kleineren Supermärkten ganz selbstverständlich angeboten, sich ihre Einkäufe nach Hause tragen zu lassen. Der gemeinsame Weg vom Supermarkt nach Hause wird dann auch noch für einen netten Plausch genutzt. In der Straßenbahn habe ich es auch mehr als einmal erlebt, dass sogar für die Kinder Sitzplätze frei gemacht wurden. Vielerorts ist beim ersten ratlosen Gesicht gleich jemand zur Stelle, der helfen möchte. Am Höhepunkt des Lockdown hat auch die Nachbarschaftshilfe sehr gut funktioniert. Junge, die für die Älteren einkaufen gegangen sind, deren Hunde ausgeführt haben oder in angemessenem Sicherheitsabstand zum Plaudern gegen die Vereinsamung zur Verfügung gestanden sind.

Uns als Ausländer, die ohne Netzwerk in Barcelona angekommen sind, hat die hiesige Hilfsbereitschaft von Anfang an das Leben sehr erleichtert. Diese „Wenn ich kann, dann helf‘ ich euch gern!“-Mentalität erwartet sich keine unmittelbare Gegenleistung – außer natürlich irgendwann die gleiche Hilfsbereitschaft retour, wenn’s denn nötig werden sollte. Das wird aber ohnehin als selbstverständlich gesehen. Diese Gegenseitigkeit ist ein wichtiger Grundpfeiler der solidarischen Gesellschaft hier. Kurz bevor wir aufgebrochen sind, sind wir noch einmal in den Genuss der unkomplizierten spanischen Großzügigkeit gekommen. Am Montag, 20.7. war die Spedition bestellt, um unsere Sachen abzuholen. Am Samstag, 18.7. in der Früh informierte uns der Speditions-Disponent, dass der Fahrer bereits unterwegs sei, aber keine Transportrodel eingepackt habe. Unser Fluchen hallte bis Wien, nutzte uns in der Situation aber nichts. Ich setzte ein paar Hilferufe an diverse Eltern-Whatsapp-Gruppen aus der Schule und dem Kindergarten ab, in der schwachen Hoffnung, dass uns vielleicht jemand so eine Rodel leihen könnte, wobei sowas ja leider nicht wirklich zum Standardinventar eines Haushalts zählt. Nach wenigen Minuten meldete sich Carlos, Vater eines Schulfreunds von Paul und einer Kindergartenfreundin von Rosemarie – natürlich würde er uns Transportrodeln borgen, er hätte sogar zwei. Weil die Familie aber gute 30km außerhalb von Barcelona, in Corbera im Collserola Gebirge, wohnt, meinte er: „Ich bring euch die Rodeln vorbei, ihr habt sicher genug zu tun vor dem Umzug.“ Ich protestierte zwar, er ließ aber nicht mit sich reden – und führte uns am Samstag Abend die Rodeln vor die Haustür, um sie dann am Montag Abend auch wieder abzuholen. Er ist also vier Mal 30km gefahren, einfach um uns einen Gefallen zu tun.

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I:
wie... Independencia

Independencia

Die Katalanen und ihre Unabhängigkeitsbestrebungen! Darüber kann man eigentlich nur die Augen rollen. Angefeuert von einer populistischen katalonischen Regionalregierung und diversen demagogischen Zündlern, wird versucht, einen Keil in die Gesellschaft zu treiben. Leider ist das politische Klima auch dank einer in der Hinsicht etwas unfähigen Zentralregierung in Madrid momentan so, dass das auch gelingt. Laut Umfragen ist es immer noch die Mehrheit der Katalanen, die sich als Katalanen und Spanier gleichzeitig empfindet, oder zumindest als „Katalanen, aber Teil eines größeren spanischen Ganzen“, diese Mehrheit wird aber leider immer kleiner. Die Regionalregierung tut ihr Möglichstes, in den Katalanen immer das Gefühl einer Schlechterbehandlung durch die Zentralregierung zu schüren, obwohl Katalonien tatsächlich über einige Privilegien verfügt. Leider sitzt das Trauma der Unterdrückung alles Katalanischen durch das Franco-Regime immer noch sehr tief und das nützen die Unabhängigkeitsbefürworter schamlos aus, indem sie die Madrider Regierung mit Franco-Faschisten gleichsetzen, die nur an einer Auslöschung alles Katalanischen interessiert seien. Die Pro-Unabhängigkeitsbewegung gibt sich jedenfalls ähnlichen Illusionen hin, wie die Brexit-Befürworter. Die wirtschaftliche Kraft Kataloniens sei so groß, dass man es nicht nur ohne Spanien, sondern auch ohne die EU leicht und locker schaffen würde (wobei Letzteres nicht bei jedem so gut ankommt, die Spanier und auch die Katalanen gehören nämlich zu den EU-Begeistertsten Europäern). Wenn man erstmal das Madrider Joch, die Kastilianer und Bourbonen endlich losgeworden sei, würde alles automatisch besser werden. Dazu kommen dann, wie in jedem guten rechtspopulistischen Programm, auch noch diverse ausländerfeindliche Tendenzen (zu viele Ausländer und auch Kastilianer nehmen den redlichen Katalanen die Jobs weg, zu viele Touristen überfluten das schöne Katalonien und ruinieren es für die Einheimischen etc.).

Ich habe hier nur einige Schlaglichter zusammengefasst, natürlich ist das Ganze ein sehr vielschichtiges, teilweise jahrhundertealtes Thema, das viele Facetten und Wahrheiten in sich vereint. Weil ich aber kein politischer Kommentator und schon gar kein Katalonien-Spanien-Experte bin, möchte ich mir gar nicht anmaßen, hier in tiefere Analysen hineinzugehen. Ich sehe das ganze Thema aber relativ simpel und naiv, und zwar so: In der Geschichte hat sich mehrfach bewiesen, dass die Menschen verschiedener Völker und Nationen besser, sicherer, zufriedener und in mehr Wohlstand leben, wenn sie sich vertragen und an einem Strang ziehen – dabei ihre Unterschiedlichkeiten aber nicht unterdrücken oder gar aufgeben, sondern gegenseitig respektieren und vielleicht sogar dazu nutzen, um voneinander zu profitieren. Dafür, dass das funktioniert, gibt es viele gute Beispiele und leider historisch noch viel mehr schlechte Gegenbeispiele. Dass die Menschen mal aus der Geschichte lernen könnten, ist und bleibt aber wohl ein frommer Wunsch.

Aufmarsch der Unabhängigkeitsbefürworter im Oktober 2019

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J:
wie... Jalousien, Rollläden und Markisen

Jalousien, Rollläden und Markisen

Die Spanier lieben ihre Jalousien, Rollläden und Markisen! So sehr nämlich, dass sie sie wirklich so gut wie immer unten haben. Im Sommer ist das bei der Kraft der Sonne im Süden absolut verständlich, auch im Frühling und Herbst kann es bei direkter Sonneneinstrahlung wirklich schnell heiß werden. Die Barcelonesen haben ihre Rollläden, Jalousien und Markisen aber wirklich immer zu – tagaus tagein, egal ob im Sonnenschein, bei Regen und Dunkelheit. Das hält natürlich nicht nur die Hitze ab (die es ja wirklich selbst in Barcelona nicht immer gibt), sondern in erster Linie auch das Licht! Die Barcelonesen sitzen also lieber bei künstlichem Licht in ihren Wohnungen bevor sie eine eventuelle Erwärmung des Wohnraums riskieren würden. Das konnte man sogar während des Lockdown beobachten: Alle mit Sicherheit zuhause, die Rollläden aber zu, die Markisen herunten. Für uns lichthungrige Mitteleuropäer wirklich nicht vorstellbar. Unsere Wohnung war jedenfalls von außen immer eindeutig zu erkennen – daran nämlich, dass sie im ganzen Wohnblock untertags die einzige mit offenen Rollläden war. Warum die Spanier auch bei kaltem, regnerischem und düsterem Wetter (ja, auch das gibt’s in Spanien) alle Lichtschoten dicht machen, habe ich bis jetzt noch nicht herausgefunden. Alle Spanier, die ich danach gefragt habe, haben dazu nur mit den Schultern gezuckt und sich wahrscheinlich ziemlich über meine Frage gewundert, weil „das war immer so, das ist einfach so und das wird immer so sein! Wie sollte man es denn sonst machen?“.

Umgekehrt wiederum sind alle Spanier aus unserem Haus nur am Vormittag zum Pool in unserem Garten gegangen, weil er nur bis etwa 14h im prallen Sonnenschein gelegen ist. Ab dem Nachmittag hat der angenehm schattige Garten dann uns allein gehört – und dabei war die Luft ja immer noch herrlich warm. Als ich einmal eine Nachbarin darauf angesprochen habe, warum denn kein Nachbar nach 14h in den Garten käme, antwortete sie mir merklich entgeistert: „Da ist ja keine Sonne mehr! Da ist es ja kalt!“ …um nach kurzer Nachdenkpause noch hinzuzufügen: „Das ist dann nur mehr was für euch, die ihr ja aus so einem kalten Nordland kommt.“

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K:
wie... Kinderfriseur, König und Kriminalität

Kinderfriseur

Ein echtes Highlight in diesem kinderfreundlichen Land sind die Kinderfriseure. Das sind tatsächlich vollwertige Friseursalons, die aber nur die kleinsten Kunden bedienen. Das fängt schon bei der bunten Einrichtung der Salons an. Dazu gibt es kleine, an Kinderkörper angepasste Waschtische, sowie kleinere Schneideplätze. Bei manchen sitzt man sogar nicht in normalen Friseursesseln, sondern in Spielzeugautos. Die Umhänge sind bunt, die Pflegeprodukte duften nach Erdbeere und Zuckerwatte und die kleinen Kunden bekommen statt einer Illustrierten ein Tablet mit Comicfilmen oder Spielen ausgehändigt. Wer will und genug Geduld hat, geht auch nicht nur einfach mit einem Haarschnitt hinaus. Hier kann man sich mit bunten Strähnen und Spangen aufwändige Flechtfrisuren und Zöpfchenkreationen machen lassen. Zum Abschluss gibt’s dann auch noch ein Rubbeltattoo oder einen Lolli. Sogar Kindergeburtstage werden beim Kinderfriseur angeboten. Dabei kann das Geburtstagskind zusammen mit vier Freundinnen gleichzeitig partymäßig gestylt werden. Die Torte schnabuliert man, während man schick gemacht wird. Klara und Rosemarie waren jedenfalls sehr begeisterte Kinderfriseurkundinnen, während Paul es vorgezogen hat, mit Rudolf zum Herrenfriseur zu gehen („Peluqueria Nino“ für Caballeros). Dort wurde nicht lang gefackelt, ohne jeden Schnickschnack wurde da mit dem Haarschneider kurzer Prozess gemacht. Ratzfatz. Dafür hat dort der Haarschnitt auch nur 5 Euro gekostet. Inklusive Gel!

       

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König

Der spanische König, el Rey, Felipe VI, ist in Katalonien ungefähr so beliebt wie es ein Bourbone in Katalonien nur sein kann. Dass dessen Vorfahre Philipp von Bourbon im spanischen Erbfolgekrieg gegen den Habsburger Karl VI nach einigem Heckmeck schließlich siegreich hervorging und Katalonien damit ein für alle Mal Spanien einverleibt wurde und alle bis dahin genossenen Privilegien und Sonderrechte verlor, kann man auch Felipe nur schwer verzeihen. Auch aus österreichischer Sicht ist das natürlich ziemlich arg, schließlich wurden damals ja nicht nur die Katalanen besiegt, sondern allen voran unser Kaiser Karl VI! Dass das mittlerweile 306 Jahre her ist, ist dabei nebensächlich … hier heilt die Zeit nämlich definitiv nicht alle Wunden. Im Gegenteil! Die Ereignisse dieses 11. September 1714 stecken jedem guten Katalanen nach wie vor wie ein Stachel im Fleisch.

Philipp von Bourbon (Felipe V) Quelle: wikipedia

Wenn der König mit seiner Familie dann doch mal den Weg nach Katalonien wagt, um sein Volk hier zu besuchen, hagelt es Proteste bis hin zu echten Straßenschlachten. Als im letzten Oktober die 14-jährige Kronprinzessin Leonor eine Ansprache im Kongresszentrum halten sollte, brannten rundherum Mülltonnen, Autos wurden demoliert und Hauswände mit „Mort al Borbó“ (Tod dem Bourbonen) besprüht. Ich bin beileibe keine Monarchistin und wirklich froh, dass wir in Österreich dieses System 1918 abgeschafft haben, vom Ausmaß des Hasses gegen die Königsfamilie war ich aber doch sehr schockiert. Bis zuletzt war nicht klar, ob Leonor unter diesen Umständen überhaupt auftreten würde – zur großen Überraschung der katalanischen Medien trat sie dann aber offenbar relativ spontan doch noch ans Rednerpult und sprach sympathisch und recht souverän auf Katalanisch. „Heuchlerin!“ warfen ihr so manche extreme katalanische Medien dann vor. Gut, 1714 ist ja wirklich noch nicht so lange her im großen Ganzen der Menschheitsgeschichte betrachtet, aber deshalb auf so ein junges Mädchen loszugehen, ist ziemlich feig. Gleichzeitig sind die Katalanen nämlich auch leicht beleidigt, wenn Los Reyes (die Königsfamilie) andere Provinzen öfter besuchen. Naja.

Da das Kongresszentrum ganz in unserer Nähe gelegen ist, und die Königsfamilie angesichts der wilden Proteste wenig Lust verspürt haben wird, einen Wink-und-Lächel-Zug durch Barcelona zu unternehmen, wird die ganze Familie samt Entourage im Hotel „Fairmont Juan Carlos“ untergebracht. Dieses liegt einen Steinwurf von unserer Wohnung entfernt. Den ganzen Tag des Königsbesuchs kreisen die Helikopter über unseren Häusern, Straßen sind gesperrt und die Straßenbahn kann auch nur eine verkürzte Strecke fahren. Rosemarie ist ziemlich aufgeregt, dass ein echter König, samt Königin und Prinzessinnen so nah von uns schlafen würde und will unbedingt eine Runde ums Hotel spazieren. Sie setzt sich dazu extra eine Krone auf und zieht einen speziellen Pailletten-Glitzerrock an, und so spazieren wir los in Richtung des Hotels.

Rosemarie war übrigens in der Erwartung, dass der König jeden Moment auf einem Pferd an uns vorbeireiten würde, gefolgt von einer Kutsche mit der Königin und den Prinzessinnen. Pferde, Kutschen und Könige mit Kronen haben wir leider keine gesehen, dafür geraten wir in einen Ansturm von schwarz vermummten Anarchisten, die auf einmal wie aus dem Nichts brüllend auf uns zustürmen. Von hinten kommen da aber schon die Polizei-Spezialeinheiten, ebenfalls ziemlich martialisch aussehend mit Vollvisierhelmen und Rüstungen, sowie Schlagstöcken. Einer der Mossos d’Esquadra schreit mir zu: „Nimm das Kind und verschwinde so schnell ihr könnt!“ – ha, als hätte ich das in dieser Situation nicht ohnehin vorgehabt. Ich schnappe Rosemarie an der Hand und will sie in eine Nebengasse hineinziehen.

„Komm, wir gehen wieder nach Hause!“ sage ich mit bemühter Ruhe in der Stimme, „ich glaub, der König kommt heute nicht mehr vorbei!“ „Ich will aber noch nicht nach Hause! Wir haben den König doch noch gar nicht gesehen!“ schreit da Rosemarie und will stur den Weg in Richtung Anarcho-Randale weitergehen. Mir bleibt nichts anderes übrig, als sie hochzunehmen und mit ihr loszulaufen, während sie in meinen Armen zappelt und zetert. Das Adrenalin pumpt mir durch die Adern, Rosemarie ist enttäuscht und ich muss ihr versprechen, ihr zuhause gleich ein Bild vom König und seiner Familie zu zeigen. Gesagt, getan. Ich google ihr ein Bild, das die fesche Familie in zeitgemäßer Kleidung zeigt und Rosemarie ist unzufrieden.

König Felipe mit Frau und Töchtern: Neues Portrait wirkt distanziert(Quelle: rtl.de)

„Wo ist da der König? Der hat keine Krone und keine schönen Gewänder!“ Auch die Königin und die Prinzessinnen fallen in ihren Augen leider durch. Damit ist aber auch die Enttäuschung des Nachmittags etwas gelindert. Interessanterweise war Rosemarie so sehr auf den prachtvollen König fixiert, dass sie die Bedrohung durch die Krawallierer und die Polizei nicht einmal wahrgenommen hatte. Mit der Abreise des Königs aus der Stadt, beruhigen sich auch die Proteste. Bis der Schriftzug „Mort al Borbó“ von der Wand neben unserer Straßenbahnhaltestelle verschwindet, vergehen aber noch ein paar Wochen. Prioritäten halt.

Bis spät in der Nacht wird noch demonstriert und randaliert, hier auf der Avinguda Diagonal, ganz in der Nähe von unserer Wohnung. Weiter hinten, dort wo das Blaulicht ist, wird gerade gerauft; es brennen einige Mülltonnen. Näher haben wir uns für's Foto aber nicht hingetraut...

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Kriminalität

Natürlich ist Barcelona eine Großstadt und kein Dorfidyll – das schlägt sich auch in der Kriminalitätsrate nieder. Besonders in den letzten Jahren, seit die Stadt von Touristenmassen überflutet wird, ist speziell die Kleinkriminalität stark gestiegen. Taschendiebsbanden treiben ihr Unwesen, hauptsächlich rund um die Touristenhotspots (siehe auch den Beitrag zu den Clowns). Immer dreister werden die Tricks, die Stadt kommt bei der Bekämpfung der Kleinkriminellen kaum mehr hinterher. Handy im Cafe auf den Tisch legen? Schlechte Idee… die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass es im Vorbeigehen eingesteckt wird. Handy entlang einer Straße in der Hand halten, um zB. einen Weg auf Google Maps zu suchen? Ebenso schlechte Idee… dass es einem von einem Moped-fahrenden Dieb aus der Hand gerissen wird, ist absolut im Rahmen des Möglichen. Auch rund um Spielplätze schleichen die Kleinkriminellen gern… welche Mama ist durch ein weinendes Kleinkind abgelenkt, während die Geldbörse im Kinderwagenbeutel liegt? Wer muss gerade „anschaukeln“ und hat die Tasche für wenige Augenblicke neben die Schaukel gestellt? Schwupp und weg.

Ziemlich schockierend sind auch die Geschichten der Okupas und Narcopisos. Okupas sind Hausbesetzer, die leerstehende Immobilien ausspähen, und in diese einbrechen, um darin zu wohnen. Flugs werden die Schlösser getauscht. Wenn der Eigentümer der Immobilie dies nicht innerhalb von 48h zur Anzeige bringt, können die Hausbesetzer nur mehr nach einem sehr langwierigen, oft Jahre dauernden, Prozess wieder hinausgeworfen werden. Dass die Hausbesetzer keinen Mietvertrag oder Grundbuchauszug vorweisen können, ist dabei nebensächlich – der Eigentümer steht in der Pflicht, zu beweisen, dass es eben keinen Vertrag gibt. Dass das ziemlich schwierig ist, ist einleuchtend. Diese Okupas kommen nicht nur in heruntergekommenen, miesen Gegenden vor, nein, sogar in familiären Vororten oder Nobelbezirken machen sie sich breit. Oft wirklich komplett ungeniert, fahren sie mit dem Möbelwagen vor und ziehen ganz offensichtlich am helllichten Tag und nicht etwa geheim im Dunklen in ihr neues Zuhause ein – mit Kind und Kegel. Dabei handelt es sich übrigens nicht nur um Langzeit-leerstehende Wohnungen oder Häuser, sondern auch solche, wo der Bewohner gerade mal für paar Wochen auf Urlaub gefahren ist. Klingt wie ein schlechter Film? Für den einen oder anderen war das aber wirklich schon alptraumhafte Realität – erholt aus dem Urlaub zurück, muss man draufkommen, dass man nicht mehr in sein Zuhause zurück kann.

Extremvariante der Okupas sind die Narcopisos. Da „übernehmen“ Drogendealer leerstehende Wohnungen, oft in (touristischer) Bestlage Barcelonas, zum Beispiel rund um La Boqueria oder Las Ramblas, und nutzen sie als Drogenverkaufszentrale. Dass in den und um die Narcopisos Verwahrlosung und Gewalt regieren, braucht man nicht näher zu erläutern. Immer wieder kommt es zu großen Razzien, in denen wieder etliche Narcopisos ausgehoben werden, nur um kurze Zeit später an einem anderen Ort wieder aufzutauchen.

In den ruhigeren, bürgerlicheren Wohnbezirken gibt es weniger Probleme mit Narcopisos und Taschendieben, dafür ist hier die Zahl der Wohnungseinbrüche ziemlich hoch. In teureren Wohnhäusern gibt es Sicherheitsdienste, die Polizei patrouilliert regelmäßig auf den Straßen. In unserer Wohnung im zweiten Stock hatte ich mich dank Sicherheitstür mit drei Schlössern und Kette immer ganz sicher gefühlt, bis mir die Nachbarin den Floh ins Ohr gesetzt hatte, dass die Einbrecher eher nicht durch die sicheren Türen, sondern lieber über den Balkon kommen würden. „Haha!“, entgegnete ich ihr damals, „Wie wollen die denn in den zweiten Stock auf den Balkon gelangen?“ … sie zeigte mir daraufhin Bilder von Strickleitern, die von unten über die Balkongeländer geworfen werden und sich mithilfe von Gewichten und Widerhaken so im Geländer verhaken, dass der Einbrecher ganz einfach hinauf- und auch wieder hinunterklettern kann. Ok.

Auch eine andere, eigentlich harmlose Begebenheit zeigte mir, dass in Spanien „my home is my castle“ nicht ganz so wörtlich genommen werden darf. Eines schönen Nachmittags kam ich mit Klara von der Schule nach Hause. Wir hatten noch einen Weg ins Nachbarhaus, wo Paul und Rosemarie bei unseren deutschen Nachbarn Sarah und Jolina zum Spielen waren. Weil wir Klaras Sporttasche und Schultasche nicht in den dritten Stock zu Sarahs Wohnung hinaufschleppen wollten, stellten wir die Taschen unten im Foyer ab. Als wir nach dem Abholen wieder runterkamen, standen zwei der Conserjes streng daneben. „Gehört das euch? Das darf da nicht stehen!“ „Francisco, Manolo, das stört doch da wohl niemanden!“, wollte ich argumentieren, „das waren ja auch nur paar Minuten!“. „Darum geht es nicht“ entgegnete mir Francisco streng. „Wenn das hier wer stehen sieht, ist das gleich gestohlen!“ Auf die Idee wäre ich nie im Leben gekommen. „Aber wer interessiert sich für einen Sportbeutel mit verschwitzter Kleidung und eine Schultasche mit Büchern und Heften?“ „Mujer, estais en España! Das kannst du mit deinem Land nicht vergleichen“, antwortete mir Francisco darauf und Manolo nickte mit ernstem Gesicht dazu.

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