Rähsch! Eine Silbe, große Bedeutung

Der Donnerstag begrüßt uns mit strahlendem Sonnenschein und sommerlichen Temperaturen, ganz so, wie man es sich in Barcelona vorstellt. Ein perfekter Tag, um ein Konto zu eröffnen! Die Wahl fällt auf die Caixa-Bank, die ein großes Filialnetz, Geldautomaten in allen Winkeln der Stadt und kostenloses Onlinebanking vorzuweisen hat.

Da sich die Stadt im August im Sommerschlaf befindet, haben auch die Banken kaum geöffnet – die Caixa-Filiale bei uns ums Eck hat beispielsweise nur an zwei Werktagen zwischen 8 und 10h offen. Mehr wird genau genommen aber auch nicht benötigt. Die Barcelonesen, die es sich leisten, bzw. einteilen können, flüchten im August vor der Hitze in der Stadt ins Gebirge oder die Badeorte an der Costa Brava. Abseits der Touristenhotspots (an denen es im August natürlich auch nur so summt und brummt) haben also die meisten Geschäfte, viele Lokale und auch Ämter von der zweiten Augustwoche bis Ende August geschlossen oder nur sehr eingeschränkte Öffnungszeiten. Sonst laute und bunte Geschäftsstraßen zeigen nur das Blech heruntergelassener Rollbalken. Auch etliche Öffi-Linien fahren in längeren Intervallen als sonst.

Weil wir es nach den Anstrengungen und Aufregungen der letzten Tage den Barcelonesen gleich tun und uns auch einem gepflegten Urlaubsrhythmus hingeben wollen, ist klar: Bis 10h schaffen wir es nicht in die Bank ums Eck. Rudolf findet eine andere, offenbar größere Filiale mit längeren Öffnungszeiten in der Nähe des großen Kaufhauses „El Corte Ingles“ an der Avinguda Diagonal, eine große Straße, die Barcelona einmal quer durchschneidet. Die Nähe zum Corte trifft sich insofern ganz gut, als wir ohnehin noch eine Teekanne, eine Butterdose und Tischtennisschläger kaufen wollten – wir rechnen damit, all das im großen Department Store unter einem Dach zu finden.

Direkt neben der Straßenbahnhaltestelle leuchtet auch schon das Caixa Logo, in der Filiale scheint rege Betriebsamkeit zu herrschen. Allerdings nicht in der erwarteten Form von Bankgeschäften, sondern – in Form von Bauarbeiten. Die ganze Filiale ist ein einziger Schutthaufen, drinnen wuseln Bauarbeiter mit gelben Helmen und schaufeln Gesteinsbrocken in Scheibtruhen. So hatten wir uns das nicht vorgestellt! Rudolf konsultiert das schlaue Handy, wo es doch schwarz auf weiß geschrieben steht, dass an dieser Adresse die Caixa die Sommeröffnungszeiten für Schaltergeschäfte „täglich bis 14h“ anbietet. Da entdecken wir an der staubigen Fassade, halb heruntergerissen neben einem Geröllberg einen Computerausdruck, der konstatiert, dass die Caixa während der Bauarbeiten einmal um die Ecke gezogen ist, der Eingang also auf der Rückseite des Gebäudes zu finden sei. Na wer sagt’s denn! Erleichtert machen wir uns auf die Suche, umkreisen den Bürokomplex zwei Mal und finden trotzdem keinen Eingang. Als wir dann aber schon die Flinte ins Korn werfen wollen, öffnet sich auf einmal eine halbversteckte Tür, durch die eine Dame im seriösen Kostüm mit Caixa-Namensschild verschwindet. Alles ihr nach, lautet das Kommando! So schlüpfen wir rasch hinter ihr durch die schmale Türe. Drinnen erwarten uns ein dunkler, enger Gang, ein grimmig blickender Wachmann und eine Reihe von Metalldetektoren. Anstelle im Kassensaal scheinen wir im Tresorraum gelandet zu sein! Der Wachmann nimmt von uns fünf allerdings katalanisch-stoisch keine Notiz und so trippeln wir vorsichtig weiter. Hinter einer Ecke öffnet sich schließlich ein großer, fensterloser Kellerraum, in dem Schreibtisch an Schreibtisch gereiht steht. An jedem der Tische sitzen je zwei tageslichtentwöhnte Männer und Frauen in dunklen Anzügen, mit Krawatten oder Stecktüchern – wir sind also doch noch auf das Sommerlager der Caixa-Banker gestoßen.

Wir sind aber lang nicht die Einzigen, die sie im Keller aufgestöbert haben, stellen wir anhand der sehr langen Schlange an Bankkunden vor uns fest. Schließlich kommen wir aber doch an die Reihe und werden von einem freundlichen Banker an seinen Tisch gebeten. Wie so oft in den letzten Tagen übernehme ich das Reden – Rudolfs Spanischkenntnisse reichen einfach noch nicht aus, und die Spanier selbst reden leider nur sehr ungern, bzw. sehr schlecht Englisch. Ich freue mich auf jeden Fall immer über Möglichkeiten, mein Spanisch zu erproben.

„Wir möchten ein gemeinsames Konto eröffnen!“ verkünde ich sodann stolz. „TenjischNisch?“ fragt der Bankbeamte freundlich. Ich grüble nur eine Millisekunde darüber, was das heißen könnte (Ergebnis: keine Ahnung!) und sage einfach einmal „SI“. Die Wahrscheinlichkeit, dass das passt, ist schließlich gegeben! Das Gesicht des Bankers zeigt keine Regung, er nimmt mein „si“ offenkundig gelassen zur Kenntnis und antwortet mir darauf „moschtraschnisch“. Weil es beim ersten Mal so gut funktioniert hat, behaupte ich einfach wieder: „SI!“. Er sieht mich an. Ich sehe ihn an. Die Sekunden werden zur Ewigkeit. Offenbar erwartet er noch eine weitere Reaktion von mir. Nur welche? Da sagt er noch einmal „moschtraschnisch“. Ich antworte darauf etwas weniger selbstbewusst: „si?“. Diesmal antwortet er mir dann gleich auf Englisch „show me your NIE papers please!“. Ach so, die NIEs wollte er also sehen! Die erste Frage rekonstruiere ich dann noch als „habt ihr NIEs?“, die zweite dann als „zeig mal her!“. (was sich hinter dem geheimnisvollen Kürzel NIE verbirgt, könnt ihr hier nachlesen).

Ich habe trotz der ersten Pleite aber keine Lust, die Unterhaltung auf Englisch weiterzuführen, ja das wäre doch gelacht! Tapfer rede ich einfach Spanisch weiter (ich schwöre, ich sage mehr als nur „SI“, zum Beispiel doch auch mal „NO“, je nachdem, was die Situation erfordert!). Im Grunde scheint es dann auch gepasst zu haben – wir verlassen die Bank schließlich tatsächlich mit einem gemeinsamen Girokonto.

Bevor wir an die konkrete Kontoeröffnung gehen, werden aber noch unsere Personalien aufgenommen. NIEs, Reisepässe, Emailadressen, Handynummern – und natürlich nicht zuletzt den Wohnsitz möchte der Caixa-Mitarbeiter von uns wissen. Aufmerksame Leser des Blogs werden nun nicht darüber überrascht sein, dass wir auch am Tag vier noch immer nicht wissen, wie man den Straßennamen unserer neuen Adresse eigentlich ausspricht. „Carrer del Cardenal“ kriegen wir gerade noch hin, aber den „Reig“ können wir uns beim besten Willen nicht vorstellen. Ich kann also die Frage nach der Adresse nicht beantworten, zumindest nicht verbal. Mir bleibt nichts anderes übrig, als etwas dummselhaft mit dem Finger auf die relevante Passage im Mietvertrag zu zeigen und es den jungen Herrn einfach von dort abschreiben zu lassen.

„Ah ja“, sagt er da höflich und denkt sich vermutlich seinen Teil, beginnt dann aber die Adresse in den Computer einzutippen. Währenddessen murmelt er leise vor sich hin. „Caaarrrrerrrr del Caaardenal Rähsch… quinze“ (quinze=15).

Ich blicke zu Rudolf. Hat er es auch gehört? Ja. Auch er sucht meinen Blick. Freudig lächeln wir einander an. „Rähsch“, wiederholt er leise. „Rähsch“ sage auch ich. Spätestens in dem Moment hält der Banker uns vermutlich für komplette Dodeln. Wen aber kümmert das schon in diesem besonderen emotionalen Augenblick für die Ewigkeit! Endlich können wir unsere neue Adresse richtig aussprechen. Wir haben an dem Tag bei der Caixa Bank also nicht nur ein Finanzprodukt, sondern auch eine wirklich wichtige Erkenntnis erworben.

Für euch alle nochmal detailliert: REIG spricht man RÄHSCH aus, wobei das „sch“ ganz weich artikuliert wird. Es klingt also nicht so resch wie resch, sondern eher letscherter, viel weicher, mit langgezogenem Umlaut A und einem ganz weich-labbrigen „SCH“ am Schluss, wie es die deutsche Sprache eigentlich nicht kennt.

Nach getaner administrativer Arbeit verlassen wir den Keller und treten zufrieden in den spanischen Sonnenschein. Beim Edel-Gemischtwarentandler Corte Ingles erstehen wir die benötigten Utensilien und dann fahren wir nach Hause, zum Carrer del Cardenal Reig 15, um die Erfolge des Tages gleich mit einer Tischtennispartie im Gemeinschaftsraum zu feiern.

Nach dem Abendessen ziehen wir dann noch einmal los und machen einen Spaziergang durch die Gassen in der Nachbarschaft. Das Stadtbild ist hier sehr heterogen – zum Einen gibt es hier die bürgerlichen Wohnhäuser, wie auch wir eines bewohnen, zum Anderen schmale Gassen mit alten Einfamilienhäusern, Parks, eine Art Burg und eine Kirche, die ebenfalls einer Festung gleicht. Ebenso bunt gemischt und sozial heterogen sind die Bewohner des Grätzels, was sich an einem lauen Sommerabend im Park besonders gut zeigt. Da kommen nämlich alle Gesellschaftsschichten und Altersstufen zusammen. Obwohl es schon nach 21h ist, ist der Park voll. Es herrscht sommerliche Fröhlichkeit, es wird geplaudert, gespielt, gepicknickt und getobt. Dazwischen picken die kleinen grünen Papageien, die man in unserem Bezirk überall findet, Brösel vom Boden auf. Den Sommerparkabend genießen wir auch und freuen uns des Lebens. Hier ein paar Eindrücke von unserem neuen Hieb, den Gassen und Straßen rund um den Carrer del Cardenal Rähsch.

 

    

                  

     

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