OB GEBURTSTAG ODER TODESTAG! MAN FEIERT DIE FESTE WIE SIE FALLEN UND WO SIE FALLEN!

Heute beginnt in unserer Home-Hood Klosterneuburg das Highlight jedes Klosterneuburger Partyjahres: Der Leopoldimarkt. Da ich weiß, dass auch ein paar Nicht-Kloburger hier mitlesen, eine kurze Erklärung: Der Leopoldimarkt ist ein alljährlicher „Kirtag“, also Jahrmarkt, an dem es verschiedene Fahrgeschäfte für Groß & Klein, diverse Buden mit Zuckerwatte, Hot Dogs, Langos und anderen Jahrmarkt-Krimskrams, wie Kleidung, Spielsachen oder Körbe gibt. Die örtlichen Winzer präsentieren im Rahmen der Leopoldi-Weinkost ihre heurige Ernte, ansonsten trinkt man Glühwein oder Kinderpunsch – solange, bis die Kombination aus heißem Süßgetränk, fettiger Jahrmarktjause und Ringelspiel ihren Tribut zollt. Gefeiert wird übrigens, österreichisch-makaber, nicht der Geburts-, sondern der Todestag des Landespatrons, des Heiligen Leopold, zu Lebzeiten Babenberger und Markgraf von Ostarrichi. Im wunderschönen Stift Klosterneuburg, dessen Stifter eben dieser Leopold einst war, kann man rund um den 15. November den zum festlichen Anlass mit dem Erzherzogshut aufgehübschten Schädel des Markgrafen bewundern, sowie allerhand Festmessen besuchen. Der Leopoldimarkt ist in jedem Fall ein absoluter Pflichttermin – wer ihn noch nicht kennt, sollte sich das wenn möglich nicht entgehen lassen. Mehr Infos zum Leopoldimarkt

Natürlich sind wir alle fünf hier etwas wehmütig, dieses gesellschaftliche Topereignis heuer zu versäumen! Für mich selbst ist es seit 1986, als sich die Familie Rütgen in Klosterneuburg ansässig machte, überhaupt erst der zweite Leopoldimarkt, an dem ich nicht teilnehme. Liebe Klosterneuburger Freunde, hier also mein Appell an euch: Feiert für uns mit! Der Auftrag lautet: Glühwein, Toast-Langos, Schaumbecher, Glühwein, Leopoldiweinkost, Blackout* und Tagada** mit Selfiestick. Bitte chronologisch abarbeiten. Wir freuen uns auf eure Fotos.

*Blackout ist ein Fahrgeschäft, wo man mehr oder weniger frei in der Luft baumelnd 30m in die Höhe und wieder herunter geschleudert wird. Mehrmals hintereinander, kopfüber, kopfunter. So ein Spaß! Dafür bezahlt man fünf Euro und stellt sich geduldig bei feuchter Kälte mindestens 45 Minuten an, während sich links und rechts betrunkene Teenager rücksichtslos vordrängen;

**Tagada ist ein Ringelspiel, das aussieht und funktioniert wie eine riesige Salatschleuder ohne Deckel. Einen Teil der Fahrt dreht es sich extrem schnell um die eigene Achse, den zweiten Teil der Fahrt dreht es sich langsam, wackelt und rumpelt aber extrem auf und ab. Ohne nennenswerte Möglichkeit sich anzuhalten, sitzt man auf rutschigen Bänken im Kreis und wird dann eben teils dank der Zentrifugalkraft in die Seiten gepresst, teils wie eine Cocktailtomate im Sieb rauf und runter geworfen. Nach Glühwein und Leopoldiweinkost ist man froh, wenn es einen dabei nicht von der Bank schleudert und man mit dicker Winterjacke wie ein hilfloser Käfer am Boden zu liegen kommt, ohne (elegante) Chance jemals wieder aufzustehen. Das zumindest würde nämlich den Coolsten nie passieren! Die stehen im Tagada bei Temperaturen unter 5 Grad im T-Shirt in der Mitte, ohne hinzufallen! Für Personen zwischen 12 und 20J herrscht absolute Pflicht dabei möglichst gelangweilt dreinzuschauen. Vor dem Tagada warten immer jede Menge Zuschauer darauf, dass sich einer der Fahrgäste möglichst lustig weh tut. So feiern wir Österreicher einen Todestag.

Ihr braucht uns nun aber nicht zu bedauern, weil wir den Leopoldimarkt 2019 versäumen! Auch hier in Barcelona wird gern und viel gefeiert. Im Prinzip könnte man so gut wie jedes Wochenende an irgendeiner Fiesta (katalanisch Festa) teilnehmen, die zwar alle ein unterschiedliches Motto, aber dann doch immer ganz ähnliche Fiesta-Ingredienzien haben. Die Klassiker Musik, Speis und Trank sind auf jeden Fall immer dabei, meistens gibt es auch die traditionellen katalanischen Menschentürme („Castellers“), die Riesen („Gegants“) und diverse Ringelspiele. Des Abends, beziehungsweise nach Einbruch der Dunkelheit, sorgen bei vielen Festas auch die feuerspeienden Drachen der „Correfoc“ für wilden und nicht ganz ungefährlichen Funkenregen.

Jedes Grätzel, das etwas auf sich hält, veranstaltet hier sein eigenes Grätzelfest, mit ganz unterschiedlichen Schwerpunkten. Die Festa Major de Grácia beispielsweise, legt besonderen Wert auf die wunderbaren Dekorationen der Straßenzüge. Daran wird im Vorfeld bereits mehrere Monate lang gearbeitet – pro Straße finden sich einige ehrenamtliche Freiwillige zusammen, die ein Motto aushecken, Deko entwerfen, basteln und anbringen. Vorgabe: Es dürfen nur Recyclingmaterialien verwendet werden, also Dinge, die sonst im Müll gelandet wären. So entstehen die tollsten Kunstwerke aus Papiermaché, Plastikflaschen, Altmetall und alter Kleidung. Unter allen teilnehmenden Straßen wird am Ende der Festa die schönste Straße prämiert.

     

Das Motto darf frei gewählt werden. Manche sind politisch, manche einfach verspielt, manche mehr, manche weniger zeitgeistig.

      

Am Eingang jeder Straße zeigen diese Infotafeln, wie viele Personen wie lange und unter welchem Ressourceneinsatz an der Gestaltung der Festa Major gearbeitet haben.

Auch als Einzelperson kann man sich mit schönen Dekorationen an der Festa de Grácia beteiligen, und beispielsweise seinen Balkon oder sein Fenster festlich schmücken.

Weil es so viele wunderschöne Bilder gibt, die ich aber nicht alle hier unterbringen wollte, könnt ihr euch, wenn ihr wollt, weitere HIER ansehen.

Beim Grätzelfest unseres eigenen Hiebs „Festa de Les Corts“ wird ein ausgewogener Mix von Kultur und Party präsentiert. Einerseits findet man etliche katalanische Kulturveranstaltungen, Diskussionsrunden, Filmvorführungen, andererseits auch Ringelspiele, Würstelbuden und viele Spiele für die ganze Familie, wie die alljährliche Konfettischlacht. Das Fest wird ganz ausdrücklich als „inklusive Veranstaltung“ organisiert, das heißt absolut behindertengerecht – barrierefrei, mit Gebärdensprachendolmetschern, sowie Audiokommentaren für Sehbehinderte. Die Schirmherrschaft 2019 haben die „Dones de Les Corts“, also die Frauen von Les Corts – sie gestalten das Programm, rücken Frauenthemen in den Vordergrund und stellen die Rednerinnen bei allen öffentlichen Ansprachen. Ehrensache, dass wir als „Les Corts-er“ auch mitfeiern! Eine besondere „Dona de Klosterneuburg“ haben wir dabei auch im Gepäck: Großmama Susi ist für ein paar Tage zu Gast und wird fast nahtlos vom Flugzeug ins Partygeschehen geworfen. Olé!

Am Hauptplatz von Les Corts, der Plaza Comas, gibt es (kleinere, aber ebenso feine!) Castellers, sowie ein paar Gegants.

Vom Balkon erschallen Festansprachen der Lokalpolitik und anderer Honoratioren -- gehört zu einem Grätzelfest halt auch irgendwie dazu. Die Gegants stehen vor dem Bezirksamt und blicken geduldig, wenngleich etwas hölzern in die Menge.

Die Ansprachen sind vorbei, die Gegants ziehen von dannen.

Auch immer dabei: Die Separatisten. Mit „Libertad, Libertad“ Sprechchören, sowie riesigen Fahnen und Bannern versuchen sie, die Feste zu politisieren. Wobei, unpolitisch ist in Katalonien sowieso praktisch nix.

Im Hintergrund ist ein Bäckereizelt zu sehen, die langen Stangen im Vordergrund sind Bauernbrote. Man ist für großen Ansturm und riesigen Hunger gerüstet. Leider nicht im Bild: Der traditionelle Kuchen der Festa de Les Corts -- eine Art Sacherschnitte.

Bastelstationen, Würstelbrater und Ringelspiele sorgen für den Fiesta-Faktor. Wir sind gegen 17h da -- für spanische Verhältnisse sogar für ein Kinderfest extrem früh. 2h später steppt hier der Bär und die Massen wälzen sich durch die Straßen, alle in Fiestalaune.

Besonders hervorzuheben ist das Ringelspiel, das einen Winterexpress im Schneesturm simulieren soll. Beziehungsweise das, was sich Spanier unter einem Winterexpress im Schneesturm vorstellen! Aus großen Kanonen wird Seifenschaum auf die Fahrgäste geblasen, dazu hält jeder einen langen Luftballon in der Hand, mit dem man den Seifenschaum dann auch noch schön in der Luft verteilen kann, wenn man nur recht wild damit fuchtelt. Der Standler im Kassahäuschen ruft in der typischen Standlerstimme: "Erlebt den Schnee! Im Sommer! Nur hier gibts Schnee! Das echte Schnee-Erlebnis!" Die Kinder sind begeistert! Rosemarie will unbedingt auch fahren, weigert sich aber, alleine einzusteigen. Ich muss mir das Schneegestöber wirklich nicht geben, aber Rudolf ist sportlich und steigt mit den Kindern ein. Für Brillenträger wie ihn ist der klebrige Seifenschaum besonders heimtückisch – im Endeffekt absolviert er den Großteil der Fahrt im Blindflug.

El Gusanito heißt übrigens übersetzt "Der kleine Mehlwurm" oder auch "Der kleine Engerling". Sollte es die Bahn irgendwie mal in den deutschen Sprachraum schaffen, hat sie mit dem Originalnamen wahrscheinlich mehr Erfolg, wage ich mal zu behaupten.

Augenscheinlich überall gleich wichtig ist die Alltagsflucht als ganz wichtiger Erfolgsaspekt eines Kirtags: Am fröstlig-kalten Leopoldimarkt fliegt man in mexikanischen Sombreros vor einer kreischbunten Kulisse von Kakteen, Wüste und feurigen Mexikanerinnen in winzigen Bikinis, bei der sommerlichen Fiesta in Barcelona sitzt man im Schneesturm… so bietet ein Jahrmarkt auf allen Längen- und Breitengraden immer die Möglichkeit, Dinge zu erleben, die der Alltag einfach nicht bieten will.

Nicht nur in den einzelnen Grätzeln wird gefeiert, manchmal feiert auch die ganze Stadt. Das größte Ereignis sind die „Festes de La Mercè“, die jedes Jahr Ende September zu Ehren der Schutzpatronin Barcelonas, der „Mare de Deu de la Mercè“ stattfinden. Barcelonas Leopoldimarkt, halt ohne Glühwein und Tagada, sozusagen. In der ganzen Stadt finden dazu Veranstaltungen statt: Konzerte, Feuerwerke, Castellers, Gegants, Correfoc. Schulen und Büros haben geschlossen, die Öffis fahren die ganze Nacht. Wir wurschteln uns motiviert durch die Menschenmassen in der Altstadt zur Plaça de Sant Jaume, um uns die größten und berühmtesten Castellers anzusehen. Ich bin ja kein großer Fan von so riesigen Menschenansammlungen, allerdings ist die Stimmung wie meistens hier sehr entspannt, die Leute rücksichtsvoll und ruhig. Kinder haben sowieso überall den Vortritt. Die katalanische Polizei Mossos d’Esquadra beobachtet die Lage und regelt die Besucherströme, wirkt dabei aber gar nicht nervös. Ein High-Five mit Pauli „Hola Compañero!“ und ein freundlicher Wangenstüber für Rosemarie „Guapita!“ ist immer drin.

Ein paar Castellers Türme schauen wir uns an, dann reicht es auch schon wieder. Von hinten drängen immer mehr Menschen nach und wir beschließen, den engen Platz zu verlassen und noch ein wenig durch die Stadt zu bummeln.

Wer den Turmbau der Castellers gerne in bewegten Bildern sehen will, ich habe die Filme davon auf meinem Facebook Profil gepostet. Kameraführung Klara Dömötör, auf Rudolfs Schultern sitzend… Schaut rein, es ist wirklich spektakulär. Die kleinen Gestalten mit den Helmen, die den Abschluss jeder Pyramide bilden, sind übrigens Kinder im Volksschulalter. Die Filme findet ihr HIER.

Wir spazieren durch den Raval, ein „berüchtigtes“ Altstadtviertel in Richtung Wohnung. Drogenhändler, (Klein)Kriminelle, illegale Prostitutierte, Hausbesetzer… hier ist ihr Grätzel. Einen Nachtspaziergang allein könnte man hier rasch bereuen – untertags ist es allerdings belebt und wenig bedrohlich. Aus den vielen kleinen orientalischen Geschäften strömen fremde Gerüche, in den Auslagen liegen exotische Gewürze, getrocknetes Fleisch, daneben Plastikblumen und 20kg Säcke Reis. Aber auch hier, unter Strizzis und Mizzis, wird die Mercè fröhlich gefeiert. Wir stoßen sogar auf eine Weinverkostung – hier allerdings im Freien, während die Leopoldi-Weinkost temperaturbedingt ja doch in der Halle stattfinden muss.

An einer der Buden kaufen wir pizza-ähnliche Snacks und setzen uns damit auf eine Parkbank, neben eine alte Dame. Die Bank ist wirklich sehr lang, es ist bei Weitem genügend Platz für alle, ich schwör’s! Das findet die Alte nicht. Katalanisch keifend springt sie auf, reißt hektisch ihre Handtasche an sich und funkelt böse in unsere Richtung. Aus einer Greißlerei vis-à- vis kommt eine ihr sehr ähnlich sehende, etwas weniger alte Dame (Tochter?), der die Ältere kreischend und in unsere Richtung fuchtelnd offensichtlich ihr Leid klagt. Beide werfen uns noch einen indignierten Blick zu und marschieren erhobenen Hauptes von dannen. Weinkost und eine keifende Alte. Fast ein kleines Stückerl Wien mitten in Barcelona, freuen wir uns, und beißen fröhlich in unsere katalanischen Pizzen (die uns dann leider nicht besonders schmecken, dem Leopoldi-Toastlangos können sie bei weitem nicht das Wasser reichen – die Strafe dafür, dass wir die arme alte Dame von ihrer Ruhestätte verjagt haben…) „Gschiecht eich recht, es Gfrasta!“ hätte sie vermutlich auf Katalanisch dazu gesagt. Ihr seht, auch in einer als Partystadt bekannten Metropole wie Barcelona ist nicht immer jeder guter Laune. Macht aber nichts! Die Hauptsache ist, dass man es sich einfach nicht verdrießen lässt, die Feste feiert, wie sie fallen und sogar mal einem Todestag was Gutes abgewinnen kann. Das können wir Österreicher! In diesem Sinne: Leopoldi OLÉ meine Lieben!

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