Mujer, Montacargas! Der Conserje und die Spedition.

Nach der zweiten Nacht mit neuer Bettensituation wachen wir alle entspannter und ausgeruhter auf als am Morgen davor. Lange bleiben wir aber auch am Morgen des Tag 3 nicht liegen – gibt es doch wieder wirklich viel zu tun! Ein Haushaltsgrundstockgroßeinkauf im Hypermarkt Carrefour steht an: diverse Grundnahrungsmittel, Putzutensilien und andere Selbstverständlichkeiten eines typischen Familienhaushalts müssen eingekauft werden. Zeit haben wir dafür allerdings maximal bis 12h. Zwischen 12 und 14h sollte nämlich die Spedition mit unseren Kartons eintreffen! Die Vorfreude ist groß.

Ich habe am Dienstag bereits mit Francisco, einem der Conserjes (Hausmeister) gesprochen, um ihn über die Ankunft des Speditions-LKWs zu unterrichten. Dazu muss man sagen, dass hier in der Anlage wirklich gar nichts ohne die Kenntnis der vier Conserjes passiert, bzw. zu passieren hat! Sie sind die wahren Herrscher über die vier Stiegen, den Garten und die Garage. So wie der Badewaschel über sein Bad und der Schulwart über seine Schule, herrscht hier der Conserje über seinen Bau. Er hat ein offenes Ohr für die Anliegen seiner Bewohner, überwacht die Einhaltung der Hausordnung, kümmert sich um Reparaturen, Instandhaltung, Abfallbeseitigung und die Post. Notfalls maßregelt er sanft oder auch forsch, je nachdem, was die Situation erfordert. Wenn er dabei ungerecht erscheint oder gar ist, dann ist er es nur im Sinne des größeren Ganzen: Der Hausgemeinschaft, deren unumstrittener Vorstand er ist. Man tut also gut daran, mit Francisco und seinen drei Kollegen ein gutes Einvernehmen zu haben. Dieses erreicht man am besten durch höflich-subalternes Buckeln, was uns als Österreichern aber eh im Blute liegt! Die Conserjes nehmen das mit Selbstverständnis, aber eh auch wohlwollend zur Kenntnis und bieten dann den kompletten Sorglosservice an: Sie bringen wochentags die Post an die Tür, übernehmen Packerl und holen täglich(!) um 9h, sowie 19h Restmüll, Biomüll, Altglas, Altpapier und Plastik direkt von der Wohnungstüre ab. Im Foyer des Wohnhauses übernehmen sie Empfangsdienste und patrouillieren regelmäßig auf den Gängen und im Garten, um nach dem Rechten zu sehen. Alle vier tragen uniform ein hellblaues Hemd und eine graue Anzughose, dazu schwarze Lederschuhe. Sie plaudern gern mit ihren Hausbewohnern und wissen Bescheid. Worüber? Na über alles natürlich.

Insofern ist es, wie oben gesagt, unerlässlich, Francisco über die Ankunft der Spediteure zwischen 12 und 14h in Kenntnis zu setzen. Alles kein Problem, Francisco zeigt mir mit Nachdruck und natürlicher Autorität, dass die Herren am besten über die Rampe der Garage ins Haus kommen, dann den Lastenaufzug (Montacargas) nehmen und schwuppdiwupp alles in unsere Wohnung bringen sollten, um mögliche Belästigung der Nachbarn auf ein Minimalmaß zu reduzieren. Folgsam wiederhole ich alle Anweisungen, ja verstanden, absolut Montacargas! Unter keinen Umständen den Personenaufzug! Nur Montacargas oder zur Not lieber hinten, aber auf Zehenspitzen durchs Stiegenhaus schleppen, bevor auch nur eine kleine Schachtel im Personenaufzug landet. Garage, ja klar, kein Problem, das bietet sich ja an, na sicher Francisco, nichts anderes ließe ich mir träumen, vor allem Montacargas, das ist gebongt! Francisco will dennoch auf Nummer sicher gehen und bittet mich, ihn unverzüglich von der Ankunft der Spedition zu unterrichten, damit er den Herren noch einmal die Garage, die Rampe und vor allem den Montacargas zeigen kann. Eifrig und streberhaft nicke ich dazu, ja klar Francisco, genauso machen wir es und sicher nicht anders! Mujer! (also: Frau!), du kommst dann zum Übersetzen dazu, ordnet Francisco noch an, und versichert mir, dass er persönlich sich darum kümmert, dass alles super laufen wird. So verabschieden wir uns mit einem fröhlichen Hasta Mañana.

Um 9h30 öffnet der etwa 15 Autominuten entfernte Carrefour, kurz danach sind wir vor Ort. Teigwaren, Reis, Kaffee, Tee, Zucker, Mehl, Müslis, Putzmittel, Klopapier, Küchenrolle, Müllsäcke und noch vieles mehr, was man als Haushaltsgrundausstattung so braucht oder zu brauchen glaubt, landet im Wagerl. Der Carrefour ist riesig und erstreckt sich über zwei Stockwerke. Mit dem Wagerl kann man über ein steiles Förderband vom Erdgeschoss in den ersten Stock gelangen – dabei fährt der Einkaufswagen eine Art Spikes aus, mit denen sich die Räder im Förderband festkrallen, damit sich trotz des steilen Gefälles nichts selbstständig machen kann. Auf jeden Fall legt man bei einem so großen Einkauf wie dem unseren sehr lange Wege kreuz und quer durchs Geschäft zurück (dazu kommt, dass wir ja auch noch nicht wissen, wo hier was ist!). Um 11h haben wir die lange Liste nahezu abgearbeitet, es fehlen nur noch Kleinigkeiten. Freudig verkünde ich, dass wir perfekt in der Zeit sind, nur noch an die Kassa und dann zisch nach Hause – mit ganz viel Puffer bevor die Spediteure kommen (mit denen wir bei dem Zeitfenster sowieso erst gegen 14h rechnen). Später werde ich mich fragen, ob ich es damit nicht doch ganz klassisch verknofelt habe.

Während wir gegen 11h15 an der Kassa den Wagerlinhalt aufs Förderband schlichten, läutet auf einmal mein Handy. Mir schwant Übles. „Hallo!“ schreit der freundliche Spediteur fröhlich in den Hörer, „wir stehen schon vor Ihrem Haus, wissen aber nicht, wo genau wir läuten sollen!“ Eines ist klar: Hätten wir den Vormittag nicht für den Carrefour genutzt, sondern lieber in der Wohnung auf die Ankunft des Lastwagens gewartet, wäre er sicher nicht vor 14h gekommen. Der Spediteur ist jedenfalls ganz überrascht darüber, dass er laut seiner Dispozentrale frühestens um 12h bei uns an der Barcelonesischen Adresse (die wir übrigens auch am dritten Tag immer noch nicht aussprechen können) eintreffen sollte – das hat ihm nämlich keiner gesagt. Ganz entspannt verkündet er aber, dass wir uns nur nicht stressen sollen, er und sein Kollege würden einfach vor dem Haus auf uns warten, und „wenn Sie da sind, sind Sie halt da“. Die Frage ist nur: Wird Francisco die Spediteure noch vor unserer Ankunft entdecken? Wenn ja, was wird dann passieren?

Wie ein echter Spanier heizt Rudolf den S-MAX durch die Streets of Barcelona. Mit quietschenden Reifen biegen wir in den Carrer del Cardenal Reig (Reig??) ein und sehen in der Ferne bereits den weißen 8-Tonner der Firma otrans stehen. Auf Höhe des LKW rolle ich mich seitwärts aus dem fahrenden Auto, hechte die Rampe zur Garage hinab – und: Niemand da. Ich gehe den Fußweg zur Eingangstür am Vorplatz des Senator Spa Hotels entlang, wo ich die beiden Zusteller schließlich auch unter dem „Prohibit Aparcar Motos“-Schild am Rande der gepflegten Grünrabatten sitzen sehe. „Hallo!“ rufe ich ihnen zu und winke fröhlich, als mein Blick auf einen riesigen Kistenstapel neben ihnen, unmittelbar vor der Wohnungstür!, fernab von der Garagenrampe!, fällt. Fleißig haben sie die Kisten auch schon aus dem Folienverhüterli befreit. Mir gefriert das Lächeln im Gesicht. Die 19 teils sehr großen Kartons nun den ganzen Weg mehr oder weniger einzeln wieder zur Garage zurückzuführen (über mehrere Stiegen), ist keine echte Option.

Ich lasse die Spediteure noch kurz stehen und gehe wie vereinbart Francisco suchen, der zwei Stiegen weiter gerade das Foyer aufwäscht. Er verkündet, ich möge den Spediteuren schon einmal den gestern besprochenen Plan (Rampe, Garage, Montacargas) erklären, er würde dann so schnell wie möglich auch zum Ort des Geschehens eilen, sobald der Mop verstaut ist. Als er meine hilflosen Erklärungen schließlich versteht und begreift, dass die Kisten bereits am Fußweg! Vor der Eingangstür! Weit weg von der Garage! stehen, ist ihm als gutem Conserje klar: Gehandelt muss hier werden und zwar sofort. Ay! Caramba! Der Mop landet in der Ecke, Francisco stürmt los. Ein Mann mit einer Mission. Bei den Spediteuren sind zwischenzeitlich auch schon Rudolf und die Kinder eingetroffen, alles steht erwartungsvoll um den Kistenturm herum. Francisco lässt eine spanische Salve auf die Spediteure los, die ich zu übersetzen versuche. Die Quintessenz: Die Hausgemeinschaft schätzt es gar nicht, wenn Lieferanten durchs Foyer kommen! Wenn Kisten und Kartons am Gehweg stehen! Und dann gar auch noch der Personenaufzug verwendet wird! Nun, zumindest Letzteres haben wir ja noch nicht verbrochen. Ich demonstriere wieder eifrige Streberhaftigkeit und verwende in meiner Übersetzung den Spediteuren gegenüber besonders oft das Wort „Montacargas“, wozu Francisco jedes Mal wohlwollend nickt. Während die Herren zur Tat schreiten und unter den wachsamen Blicken des Conserjes die Kisten in den Lastenaufzug (uff) schlichten, nutze ich die Gelegenheit, mich für alle Versäumnisse des Tages ausgiebig und in schönster österreichischer subalterner Tradition zu entschuldigen. „Wer konnte schon wissen, dass die Herren so früh kommen würden! So war es natürlich nicht gedacht! Wenn es jetzt Schwierigkeiten gibt, tut mir das wahnsinnig leid! Irre leid! Unfassbar leid! Zum Glück konnten wir sie noch rechtzeitig in den Lastenaufzug leiten!“ Francisco klopft mir schließlich väterlich auf die Schulter und deklamiert gönnerhaft: „No te preocupes, mujer! Esta bien. Esta bien.“ (mach dir nix draus, Frau, passt schon, passt schon). Er geht dann weiter aufwaschen. Und den allerletzten Karton transportieren wir dann ganz österreichisch hintertrieben schnell und heimlich mit dem… P… psst… nix verraten!

Nach einer guten halben Stunde ist der Spuk jedenfalls vorbei, alle Kartons stehen im Wohnzimmer aufgeschlichtet und wir machen uns recht motiviert ans Auspacken. Die Kinder helfen fleißig mit und haben selbst auch Freude daran, für ihre Sachen im neuen Heim neue Plätze zu finden, Ordnungen herzustellen und zu gestalten. Am späteren Nachmittag ist der Kraftakt geschafft: Bis auf die letzten drei Kartons haben wir alle ausgepackt! Auf diese letzten drei haben wir dann aber alle keine Lust mehr und stürzen uns lieber zur Abkühlung in den Pool.

Am Abend läutet es überraschend an der Tür. Es ist Francisco. „Ist alles gut gelaufen mit den Spediteuren? Hattet ihr eh keine Probleme mit den Nachbarn?“ Ich bejahe und verneine. Nein, niemand hat irgendwas wegen der Lieferung über die Vordertüre zu uns gesagt (ich glaube eigentlich, dass es niemand auch nur bemerkt hat). Falls doch noch jemand sich beschweren sollte, fährt Francisco fort, dann sollte ich ihm nur gleich Bescheid geben, er würde das auf jeden Fall mit den betreffenden Nachbarn für uns regeln.

„Tienes basura?“ (Hast du Müll?). Er schnappt sich mein Plastikmüllsackerl und verabschiedet sich freundlich.

An jenem Abend fühlt sich die Wohnung mithilfe unserer eigenen Sachen auf, in und neben den angemieteten Möbeln noch ein bisserl mehr wie Zuhause an. Die Vorratsschränke in der Küche sind aufgefüllt, die Putzsachen gut verstaut. Plan für den nächsten Tag: Ein spanisches Bankkonto. Werden wir am Tag vier endlich erfahren, wie man das Reig in unserer Adresse ausspricht? Wer Lust hat, kann unten in den Kommentaren seine Tipps zur richtigen Aussprache abgeben.

Thema: Mujer, Montacargas! Der Conserje und die Spedition.

Adress

Also ich würde auf Raiiig tippen, auch wenns mir komisch vorkommt das es ein spanisches Wort ohne den Buchstaben o geben sollte... vielleicht sagens ja Raiiigo!! Also dann noch eine schöne Wocho :)

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