JETZT ABER! WOHNUNGSSUCHE IN EINEM FERNEN LAND (Teil III)

Ganz aufmerksame und treue Leser dieses Blogs werden schon am Ende des Beitrags „Wohnungssuche Teil II“ gewusst haben, dass wir im August 2019 nicht, wie ich es mir gewünscht hätte, in der schönen Wohnung an der Adresse Trias i Pujol 4 eingezogen sind. Warum das so war, habe ich aber noch nicht erzählt.

Nun, in erster Linie war es ein Timing-Problem. Wir hatten die Wohnung immerhin zwei Monate bevor wir sie brauchen würden, besichtigt – und es war klar, dass der Vermieter demjenigen den Zuschlag geben würde, der die Wohnung zum frühestmöglichen Zeitpunkt nehmen könnte. Das waren leider nicht wir. Bis zuletzt hatten wir ja darauf gehofft, dass sich so schnell niemand finden würde (die schöne Wohnung war schließlich schon einige Monate auf dem Markt gewesen). In meiner Vorstellung habe ich mich bereits Anfang Juli während der Vertragsunterzeichnung den Rolling Stones Song „Time is on my side“ trällern gehört. Dass wir aber nicht Mick Jagger und Marianne Faithfull sind und dazu nicht einmal die Zeit auf unserer Seite hatten, hat sich dann leider Mitte Juni schmerzhaft manifestiert, als die Traumwohnung auf einmal aus der Liste meiner Favoriten in der Immobiliensuchapp verschwunden war. Das durfte doch nicht wahr sein! Ich aktualisiere wie verrückt, schalte das Handy aus und wieder ein, leere den Cache, deinstalliere die App, um sie gleich wieder neu zu installieren – die wunderschöne Wohnung an der Adresse Trias i Pujol 4 bleibt verschwunden. Eine Rückfrage bei Makler César bringt die Gewissheit: Der Vermieter hat einen neuen Mieter gefunden. Unser innerer Mick singt dazu ein leises „I sit and watch as tears go by“, fängt sich dann aber schnell wieder. Das Selbstmitleid bringt uns auch keine „Satisfaction“ und schon gar keine Wohnung. „You can’t always get what you want“, das wissen wir nun, und so melde ich mich bei Conchi, mit der uns ja bereits eine aufregende Betrugs-Doch-Nicht-Betrugs-Geschichte verbindet, wie Leser des Teil I der aufregenden Wohnungssuche bereits wissen. „Gimme Shelter!“ kreische ich wie ein wahrer Stone ins Telefon, doch auch von Conchi gibt es schlechte Neuigkeiten. Der Vermieter, der zunächst uns gegenüber durchaus positiv eingestellt war, und uns die Wohnung zumindest unter der Voraussetzung, dass wir als Ausländer ohne spanischen Arbeitsvertrag eine Bankgarantie beibringen sollten, vermieten will, zieht im letzten Moment zurück und gibt den Zuschlag einem spanischen Paar. Ich bin zwar enttäuscht, habe aber durchaus auch „Sympathy for the Devil“, schließlich weiß er ja nicht, welch tolle Mieter ihm mit uns entgangen sind. So, genug der Stones-Zitate und zurück zum Thema, das sich gänzlich unmusikalisch und eher ernüchternd präsentierte. Wir waren nun wieder bei Null angelangt.

Die Optionen, die wir nach der Wohnungsbesichtigungstour Ende Mai hatten, haben sich allesamt zerschlagen und so bleibt uns nichts anderes übrig, als die Suchmaschine noch einmal anzuwerfen und noch eine Reise nach Barcelona anzutreten. Diese buchen wir für Anfang Juli – was sich schon sehr aufregend spät anfühlt – das Zugticket für den Nachtzug von Wien nach Livorno haben wir nämlich schon gebucht: Die Reise geht am 2. August des Abends los.

Zwischenzeitlich organisiere ich auch eine Spedition, die einen Teil unseres Hausrats von Klosterneuburg nach Barcelona bringen soll – nachdem ich noch keine Anlieferadresse in Barcelona nennen kann, ernte ich zunächst ein überraschtes Lachhüsteln seitens des Spediteurs, dann aber ein herzhaftes „Na Sie woins owa wissen! Wauns nix findn, stöma Eana die Kisten afoch aufn Hauptplotz vo Barcelona!“. Schallendes Gelächter. Seinerseits. Gequältes Hehe meinerseits.

Ausgerechnet in diesen wichtigen und stressigen Tagen geht es mir dann gesundheitlich nicht so gut (Schulschluss, inklusive Klaras Volksschulabschluss ist ja auch noch und nimmt bei aller Umzugsaufregung auch ziemlich viel Raum und Zeit ein!). Daraufhin beschließen wir, dass Rudolf die Reise nach Barcelona diesmal alleine antreten soll. Er ist sich dieser unglaublichen Verantwortung bewusst und sehr aufgeregt. Ich versuche ihn zwar mit den lieben Worten „Du wirst sicher die richtige Wahl treffen“ zu beruhigen, aber wir beide wissen und ahnen in diesem Moment, dass er sich nun auf einer Nestbaumission befindet, für die die Natur ihn und seinesgleichen eigentlich nicht vorgesehen hat. Will er sich hier ganz offen gegen Jahrmillionen der Evolution stellen? Natürlich nicht. Aber er muss. Wir seufzen beide, als er an jenem Julimorgen mit einer Liste von Wohnungsbesichtigungsterminen, sowie Notizen und Handlungs“empfehlungen“ meinerseits, die Klosterneuburger Wohnung verlässt.

Die moderne Technologie macht es aber möglich, dass ich auch aus der Ferne bei jedem Besichtigungstermin dabei sein kann. Über Videocall werde ich überall dazugeschaltet und kann mich sogar aus der Ferne mit den Maklerinnen über Fragen austauschen, an die Rudolf in dem Moment zufällig nicht gedacht hätte. Außerdem bekomme ich so doch einen sehr guten Eindruck von Zustand und Ausstattung der einzelnen Wohnungen. Einzig der Geruch fehlt mir zum Gesamterlebnis.

Am Ende dieses Besichtigungstages haben wir zwei Wohnungen in der engeren Auswahl – die beide sehr schön und auch gut gelegen sind. Die eine hat einen traumhaften Blick, und liegt in einer ruhigen, gepflegten Gegend. Die andere liegt ums Eck vom Camp Nou, ist kleiner und hat kaum Ausblick, dafür aber einen Garten mit Pool. Nach einigem Hin und Her beschließen wir aber, dass den Ausblick zu genießen sicher viel Freizeitvergnügen bietet, ein Garten mit Pool vermutlich aber noch viel mehr. So ist die Entscheidung gefallen: Die liebe kleine Wohnung am Carrer del Cardenal Reig soll unser neues Zuhause für ein Jahr werden.

Dann geht alles ganz schnell. Die Maklerin Jazmin redet mit dem Proprietario Bernardino über uns, der willigt ein und Rudolf spaziert am nächsten Tag schon ins schöne Büro der Immobilienagentur, das, komplett verglast, den wunderschönen Passeig de Grácia überblickt. Er unterschreibt dort den Vorvertrag, erlegt das Deposit und – die Wohnung ist praktisch unsere!

Wieder daheim feiern wir mit Sekt und auch ich unterschreibe den Vertrag. Meinem Pokerface kennt man die Erleichterung kaum an, aber ich versichere euch: Ich war schon sehr erleichtert!

Stolz gebe ich der Spedition unsere neue Anschrift bekannt und beginne auch sogleich mit der Planung der Packlisten – jetzt, wo wir endlich genau wissen, was für Hausrat und Mobiliar in der neuen Wohnung bereits vorhanden ist, kann ich das alles gleich ganz anders An-Packen. Über die nächsten Wochen befülle ich insgesamt 19 große Kartons. Um das Auspacken zu erleichtern, erstelle ich akribisch genaue Listen darüber, was sich in welchem Karton befindet. Ich meine wirklich akribisch genau. Nicht „Karton 10 – Bücher“, sondern „Karton 10 – Bücher Titel 1, Titel 2, Titel 3, etc etc“; „Karton 11 – Suppenlöffel, Müslischüsserl, Geschirrtücher etc.“. Das ist zwar viel Arbeit, wird sich aber bei der Logistik vor Ort auf jeden Fall bezahlt machen, reibe ich mir zufrieden die Hände. Normalerweise bin ich ja nicht immer so organisiert, umso schöner fühlt es sich an, diesen Umzug dermaßen organisiert und ordentlich anzulegen. Nun ja, leider war ich nicht ad ultimo so organisiert, was die Listenführung anbelangt – die mehrseitige Liste liegt heute noch, also fast ein Jahr später, auf meinem Schreibtisch… wo denn? Ja, in Klosterneuburg. Freue mich schon auf ein Wiedersehen mit ihr. Zumindest kann ich sie zum Abgleich hernehmen, wieviel der ursprünglich eingepackten Dinge nun auch wieder den Heimweg angetreten hat. Das wird sicher auch Spaß machen.

          

Dann beginnen auch schon die Abschiedsrunden. Freunde, Familie, alle wollen wir noch einmal treffen, bevor es auf große Fahrt geht. Tränen fließen reichlich und unser Herz ist weh – bei aller Vorfreude fällt es uns doch schwer, unsere Liebsten so lange nicht zu sehen. Ein Trost in der Abschiedstrauer ist jedenfalls, dass sich doch die meisten für Besuche bei uns in der schönsten aller Mittelmeermetropolen angekündigt haben. Zum Glück wissen wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass wir fast alle aufgrund der Covid-Pandemie tatsächlich mehr als ein Jahr lang nicht sehen würden.

  

Natürlich führt uns unser Weg zum Abschied auch in Rudolfs Heimat Eberau im schönen Südburgenland. Ohne es zu wissen, haben wir das perfekte Wochenende dafür gewählt – es ist FAHRZEUGWEIHE! Beiläufig erwähnt meine Schwägerin beim Mittagessen, dass auf dem Hauptplatz vor der Kirche am Nachmittag die Fahrzeuge geweiht würden. Jeder, der mag, darf mit seinem Fahrzeug (PKW, Traktor, Fahrrad, ganz egal) gerne daran teilnehmen und sich den Segen des Heiligen Christophorus holen. Für mich, als Stadtkind, ein echtes Kuriosum. Rudolf und ich wechseln einen Blick und es ist klar: Den Segen holen wir uns für unseren S-MAX fix vor der großen fast Trans-Europafahrt! Als wir ankommen, stehen schon einige frisch polierte Fahrzeuge mit ihren Haltern vor der Kirche. Brav parken wir uns in den vorgesehenen Halbkreis. Dazwischen werden Bänke und ein kleiner tragbarer Altar aufgebaut. Es sind überraschend viele Menschen anwesend und harren fromm der Dinge. Endlich erscheint der Herr Pfarrer, ein Lied wird angestimmt. Es folgen einige Gebete und eine kleine Lesung. Mehr Lieder. Schließlich hebt der Herr Pfarrer zu einer längeren Predigt an, die durch einen wirklich ganz unerwarteten, heftigen Platzregen ziemlich feucht unterbrochen wird. „Unser Vater im Himmel hat heute offenbar keine Lust auf meine Predigt“, meint Hochwürden selbstironisch und alles lacht (erleichtert). Dann der Haupt-Act: Die Fahrzeugsegnung. Alle nehmen bei den Fahrzeugen Aufstellung, während der Herr Pfarrer mit Weihwasser und Weihrauch von einem zum anderen schreitet und segnende Worte spricht. Man kann davon halten, was man will – ich bin der Meinung, positive Gedanken schaden nie. Zum Abschluss erhalten wir Heiligenbilder, einen Christophorustaler, sowie Sticker fürs Armaturenbrett. Ein gutes Gefühl für die weite Reise!

Pauli mit betont lässiger Frömmigkeit, Klara mit Weihwasser in den Augen, Rudolf verschmitzt (ja, der wird doch nicht etwa ein Lachen unterdrücken? Oder ist es lediglich die Freude an der Segnung, die ihm da die Mundwinkel nach oben drückt?), lediglich die kleine Rosemarie in braver Gebetshaltung "wie die Engerln in meinem Weihnachtsbilderbuch", erklärt sie nachher.

Schließlich ist der Tag gekommen, da wir am Wiener Hauptbahnhof unser bummvolles, gesegnetes Auto auf den Autozug verladen, unser Abteil beziehen, und die österreichische Bundeshauptstadt im sommerlichen Dämmerlicht zum letzten Mal für lange Zeit an uns vorüberziehen sehen. Was wir dabei empfunden haben, welche Vielzahl an widersprüchlichen Emotionen uns dabei bewegt hat, könnte niemand schöner in Worte fassen, als einer der allzeit größten Meister der deutschen Sprache. Hermann Hesse mit Auszügen aus seinem Gedicht „Stufen“:

Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen;
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.