Goldgräberstimmung
Am Sonntag, 10.1., checken wir morgens aus dem Drifting Sands Motel aus -- nicht ohne aber das selbstgebackene Brot des Hostelwirts verkostet zu haben. Brot fristet in Neuseeland insgesamt eher ein trauriges Dasein: Lasche, weiche, geschmacklose Konsistenz, verliehen durch (hauptsächlich) Weißmehl... insgesamt vermittelt es eher den Eindruck, leere Kalorien statt Energie zu spenden. Das Brot des Wirts scheint aus Vollkornmehl zu sein und tatsächlich befinden sich auch einige Kerne drinnen, was wirklich würzig schmeckt. Es hat zwar auch die Fluffigkeit von Toastbrot, ist also mit dem kompakten Sauerteigbrot wie wir es kennen, auch nicht zu vergleichen, bietet aber einen Quantensprung an Geschmack und Brotvergnügen gegenüber dem im Supermarkt gekauften. Wir genießen also zum Abschied aus unserer urigen Hostel-Garage noch ein richtig gutes Frühstück und brechen bestens gestärkt auf zum Hokitika-Gorge. Dieser ist ein felsiger Waldsee etwa 30 Fahrminuten außerhalb von Hokitika. Das Wasser ist leuchtend türkis und der See eingebettet in den typischen Westküstendschungel, den die Einheimischen hier "Bush" nennen. Ein etwa 10-minütiger Spaziergang führt vom Parkplatz hin zum Gorge. Das reicht schon aus, um von den garstigen schwarzen Sandflies (Sandfliegen) schier gefressen zu werden. Die Sandfliegen sind etwa so groß wie Gelsen, haben aber einen Fliegenkörper, beißen ziemlich fest und hinterlassen dann kleine rote Dippel, die nicht so sehr wie Gelsenstiche, sondern eher wie Pickelchen aussehen, aber trotzdem höllisch jucken. Ein Gelsenstich ist nichts dagegen! Die ekelhaften Biester lassen sich auch durch Fuchteln oder Abstreifen nicht vertreiben; Haben sie sich einmal auf dem Opfer niedergelassen, bleiben sie beharrlich sitzen. Zum Glück interessieren sich die Sandfliegen weniger für die Kinder. Mein Pech: Sie interessieren sich vielmehr für mich. Meine Beine werden ziemlich zerstochen; die Dippel jucken auch heute noch -- eine Woche nach dem Erlebten -- als wären sie frisch. Trotzdem hat sich der Marsch zum Gorge auf jeden Fall ausgezahlt. Der Dschungel ist üppig und dicht, das Wasser tatsächlich so türkis wie auf den Bildern. Auch der Weg, entlang dessen man einmal eine wackelige Hängebrücke überqueren muss, macht Spaß.
Hier unten im Bild die Hängebrücke aus der Ferne...
...und hier stehen wir schon am Brückeneinstieg und warten artig, bis die schmale, leicht schwankende Brücke frei wird. Die Kinder (die als Fliegengewichte vermutlich ohnehin nicht mehr als 1/3 Person ausmachen) nehmen die auf den Warnschildern vorgeschriebenen "Maximum Bridge Loading 6 People.." nämlich sehr ernst!
...um es schließlich mit vorsichtigen Schritten bis in die Mitte für ein paar Fotos geschafft zu haben!
Die moosigen Felsen am Ufer des eisigen Gorge laden zum Klettern und Erkunden ein.
Die Fahrt führt uns anschließend weiter ins Freilichtmuseum Shantytown. In Shantytown wurde eine alte Goldgräberstadt aus Originalbauwerken verschiedenster Westküsten-Goldgräberstädtchen nachgebaut. Die Häuser wurden an ihren Ursprungsorten vorsichtig abgetragen und schließlich in Shantytown wieder aufgebaut und restauriert. So bekommt man einen guten Eindruck der kleinen Städtchen, die nach den ersten Goldfunden im 19. Jahrhundert hier mitten im Dschungel, abseits jeder Zivilisation, entstanden. Die ersten Siedler in dieser Gegend waren Maori, die in ihrem beschaulichen Leben im fruchtbaren Überfluss des Dschungels im 19. Jahrhundert von weißen Abenteurern gestört wurden. Kaum, dass das erste Gold gefunden worden war, war es mit der Ruhe endgültig vorbei. Die Maori erwiesen sich aber als unverzichtbar für die wagemutigen Weißen, die auf der Suche nach dem Glück ohne adäquate Ausrüstung und Plan auf einmal auftauchten, und von den starken Temperaturschwankungen, der Dichte des Dschungels und dem entbehrungsreichen Leben überrascht und überfordert waren. Die Maori halfen den ersten Siedlern bei der Rodung, zeigten ihnen die besten Stellen zum Goldschürfen und unterstützten auch bei der Nahrungssuche oder beim Überqueren der stellenweise sehr reißenden Gebirgsflüsse, die, aus den Alpen kommend, hier alle ins Meer fließen.
Nach relativ kurzer Zeit hatten die Weißen erste Siedlungen geschaffen -- sowie einen effizienten Transportweg, in Form einer einspurigen Eisenbahn, deren Trasse gerade einmal passend in den Dschungel geschlagen wurde. In Shantytown kann man das Leben der damaligen Zeit (ca. 1860er Jahre) gut nachempfinden. Es gibt einen Bahnhof, von dem aus Original Dampfloks die schmale Trasse entlang fahren, ein Postamt, ein Gasthaus, ein Theater, eine Gemischtwarenhandlung, eine Schule, Rathaus, Gefängnis, ein Spital, ein Hotel, Feuerwehr und ein Freimaurerzentrum ("Freemasonry Hall").
Im Postamt sind einige alte Telefone ausgestellt -- die Kinder sind perplex ob dieser klobigen Apparate. Noch größer ist die Überraschung, als wir ihnen offenbaren, dass wir in unserer Kindheit auch noch mit so einem Gerät telefonierten. Besonders beeindruckend und aus Sicht der beiden unfassbar: die Wählscheibe.
Die Kirche stand einst in einer Goldgräberstadt namens "No Town" (da war jemand kreativ bei der Namensgebung...) und stammt aus dem Jahr 1866. Aus europäischer Sicht ist das zwar schon eine alte Kirche, sicher aber keine uralte. In Neuseeland werden diese 150 Jahre als fast schon urzeitlich zelebriert. Dass wir in Klosterneuburg vorletztes Jahr den 950. Geburtstag des Stifts gefeiert haben, kann sich hier niemand auch nur annähernd vorstellen.
Klara posiert im Schulhaus. Warum sie hier so besonders ernst dreinblickt, hat einen triftigen Grund: Sie hatte zuvor einige alte Originalfotografien entdeckt und festgestellt, dass alle Menschen darauf so ernst aussehen. Sie wollte das für ein authentisches Foto unbedingt so nachstellen.
Zu fixen Zeiten hat man auch die Möglichkeit, mit der Dampfeisenbahn zu fahren. Der Weg führt auf der Originaltrasse durch den Dschungel, vorbei an einem alten Sägewerk. Die Fahrt dauert ungefähr 15 Minuten, während der der Lokführer, ein bärtiger älterer Herr in Originalkostüm, alles über die Geschichte der Eisenbahn im Westen von Neuseelands Südinsel erzählt.
Klara und Pauli können das Ende der Bahnfahrt kaum erwarten: Der Zug führt uns nämlich direkt zum Fluß, wo man selbst Goldwaschen kann. Das ist natürlich ein besonderes Highlight. Klara schmiedet schon Pläne, wie sie die vielen Goldnuggets dann heim nach Österreich transportieren kann, beziehungsweise was sie sich mit den selbst geschürften Reichtümern alles kaufen sollte. Ein knorriger Kerl im Goldgräberkostüm weist uns in die Kunst des Goldwaschens ein. Jeder bekommt eine flache Wanne (wie ein flacher Wok) in die Hand gedrückt, in dem sich je ungefähr drei bis vier Hände voll Schotter und Sand aus dem Fluß befinden. Dies muss man dann geschickt hin und herschwenken und immer wieder ins Wasser der großen Wannen tauchen, um die oberste Schichte abzutragen. Die Goldfäden sind nämlich schwerer als alles andere in der Wanne und werden durch die Schwenkbewegung ganz nach unten befördert. Wenn man dies ein paar Mal gemacht hat, sind Sand und Schotter verschwunden und übrig bleiben hauchfeine, winzige Goldplättchen. Natürlich muss man gut aufpassen, dass man sein Gold nicht gleich zusammen mit dem Sand im Wasser versenkt. Eine recht fitzelige und langwierige Angelegenheit, die den Kindern rasch keinen Spaß mehr macht. Ich arbeite also an Paulis Wanne weiter, während Rudolf Klaras Wanne über hat. Er zeigt durchaus Goldwäschertalent und hat Klaras Schätze rasch freigelegt, während ich fluchend und genervt immer noch mindestens die Hälfte des Sands in meiner Wanne hin und herschwenke und feststelle, dass ich mich zum Goldgräber wohl nicht besonders geeignet hätte. Nun, Rudolf weiß zum Glück, dass ich mein Gold am liebsten in bereits verarbeiteter Form aus dem Juweliergeschäft habe! Das ist dann eher nach meinem Geschmack. Tapfer übernimmt der einzige wahre Goldgräber in der Familie dann noch die zweite Wanne und schwenkt auch noch Paulis Schatz frei. Die freigelegten Goldplättchen werden sodann vom Einweiser in zwei winzige Phiolen verpackt, was dann auch Klaras Überlegungen, in welchen Koffer wir die schweren Nuggets packen sollten, ein jähes Ende bereitet. Enttäuscht ist sie aber nicht -- zu groß ist die Euphorie, dass hier tatsächlich echtes Gold gefunden wurde.
Unten in der Wanne ist das freigelegte Gold zu sehen (ja, ich weiß, es ist mit freiem Auge kaum erkennbar. Na und? Klein, aber fein.).
Hier der Bildausschnitt in der (leider unscharfen) Vergrößerung:
Wer so fleißig Gold schürft, hat sich auch eine gute Mahlzeit verdient. Wir spazieren voll Vorfreude ins Wirtshaus von Shantytown, das außen schon mit ganztägig warmer Küche wirbt. Hungrig diktiere ich eine große Bestellung für uns alle, nur um von der Kellnerin informiert zu werden, dass die Küche leider geschlossen hat (immerhin 2h vor Schließzeit des Parks) und wir uns lediglich unter den Überbleibseln an Snacks aus der Vitrine etwas aussuchen könnten. In der Vitrine trocknen armselige und eher undefinierbare Teiglaberln vor sich hin. Wieder einmal zeigt sich, dass in Neuseeland (vor allem am Land) Hunger der beste Koch sein muss... (dem werde ich übrigens noch einen eigenen Beitrag widmen). Wir wählen "Hash Brown Savouries" (sinngemäß Kartoffelpuffer-Häppchen) und "Vegetable Fritatta" (eine Art Omelette mit Gemüse). Die Hash Brown Savouries sind tatsächlich Kartoffelrösti, die in eine Muffinform gepresst wurden. In die entstandene kleine Kartoffelwanne war ein Ei geschlagen und schließlich alles mit Speck und Käse überbacken worden. Deftig, aber eigentlich gar nicht so schlecht. Mit einem gemischten Salat und frisch aus dem Ofen statt frisch aus der Vitrine könnte das tatsächlich ein ganz gutes Mittagessen abgeben. Das Ambiente in dem originalgetreu restaurierten Lokal ist aber sehr nett, was ein wenig über das Speisenangebot hinwegtröstet. Und da wir aufgrund der geschlossenen Küche die einzigen Gäste sind, gelingt es mir sogar, Rosemarie heimlich in der Nische zu wickeln und zu stillen.
Nach dem Essen spazieren wir noch ein wenig durch den Ort. Es ist so nett hier, so informativ und anregend gestaltet, dass es uns allen leid tut, als die Durchsage kommt, dass der Park schließe und alle Besucher sich bitte zum Parkplatz begeben mögen. Nun, mittlerweile ist es aber bereits nach 17h und uns stehen noch etwa 3h Autofahrt zurück nach Christchurch bevor. Es ist also ohnehin eine gute Zeit für den Aufbruch. Rosemarie schläft die meiste Zeit, während Klara und Pauli ihr geliebtes Huckla-Buch ganze zwei Mal komplett durchhören. Rudolf und ich genießen inzwischen die Heimfahrt über den Arthur's Pass, der noch immer genauso wild und schön ist, wie bei der Hinfahrt am Freitag. Je näher wir an Christchurch kommen, umso düsterer wird allerdings das Wetter, bis wir schlußendlich fast gar nichts mehr sehen. Müde, aber mit dem guten Gefühl, ein wunderbares, ereignis- und erkenntnisreiches Wochenende verbracht zu haben, gehen wir alle bald schlafen. Die neue Arbeitswoche steht schließlich ins Haus -- und wir erwarten lieben Besuch am nächsten Tag: Nichte Katharina und Neffe Konstantin.