Los Domotor5 empadronados! Die eingebürgerten Dömötör5!
Gestern sind die langerwarteten Urteile im Prozess gegen die katalanischen Separatistenführer gefallen. Die Haftstrafen fallen sehr hoch aus, entsprechend ließen die Proteste in Barcelona nicht lange auf sich warten. Davon habt ihr sicher alle in den Medien gehört und gelesen. Während also die halbe Stadt vom „TsunamiDemocratic“, so der Name der aktuellen Bewegung, lahmgelegt wurde, hatten wir ausgerechnet einen besonders wichtigen Behördengang zu erledigen – das zungenbrecherisch auszusprechende EMPADRONAMIENTO, die Wohnsitzanmeldung. Warum machen die das erst jetzt, werdet ihr euch denken, wo diese trägen Faulpelze doch schon seit Anfang August in Barcelona sind? Sind die schon richtige Klischee-Spanier geworden? Nein, natürlich nicht! Zumindest nicht, wenn es um Behördliches geht, da sind wir noch immer richtig brave, ordentliche Österreicher. Nun, an den Einwohnermeldeämtern, die Teil der jeweiligen Bezirksämter sind, muss man sich einen Termin für die Einbürgerung ausmachen – der Vormittag des 14.10. war tatsächlich der erste freie Termin, den wir seit August ergattern konnten. Klar war auch eines: Wenn das nicht gleich klappt, müssen wir wieder mindestens zwei Monate warten. Jetzt brauchen wir das Empadronamiento aber schon dringend für die örtliche Gesundheitsversorgung, sowie die Schülerfreifahrt für die Kinder und einige andere Vergünstigungen, die Einwohnern hier gewährt werden.
In diversen Expatriate-Foren hatte ich im Vorfeld grausame Schicksalsberichte von fehlenden Dokumenten, desinteressierten Amtsmitarbeitern und monatelangen Ämterodysseen gelesen – alles nur wegen „eines einzigen fehlenden Stempels“, „5-minütiger Verspätung“, „der Hitze des Tages“, „der Kälte des Tages“, „Verständigungsschwierigkeiten“ oder „einfach totaler Unfairheit“ usw. usf. Jeder von euch hat bestimmt schon einmal einen Behördengang gehabt, der nicht ganz erfolgreich und zufriedenstellend verlaufen ist und kann sich in dieses Tal der Behördengangtränen einfühlen.
Damit uns das nicht passiert, bereitet sich Rudolf anhand der Empadronamiento-Website akribisch vor: Da werden alle als notwendig angeführten Unterlagen hergerichtet, kopiert, unterschrieben, beglaubigt, nochmal kopiert, geheftet, abgelegt, sicherheitshalber nochmal kopiert und abgelegt – und schließlich ein beeindruckendes Konvolut an Dokumenten von Dicker-Bene-Ordner-Stärke für diesen wichtigen Termin zusammengestellt.
Inmitten des TsunamiDemocratic stellen wir uns also auf unseren ganz privaten DokumentenTsunami ein, der uns hoffentlich mit fein abgestempelten und offiziellen Meldezetteln aus dem Meldeamt herausspülen sollte.
Kurz vor 10h (Termin ist um 10h, Pünktlichkeit: check!) betreten wir das Bezirksamt. Am Empfang sitzen zwei Mitarbeiter, die uns freundlich begrüßen. „Buenas!“ rufen sie uns zu und fragen, wie sie uns weiterhelfen können. Ich erkläre, dass wir für das Empadramo… äh Empradoni… äh… Emp… gekommen sind. „Empadronamiento, muy bien! Vale!“ unterbricht mich der Rezeptionist und weist uns an, eine Nummer zu ziehen, nachdem wir unsere persönliche Terminkennzahl in einen Automaten neben der Eingangstür eingegeben haben. Mit dem Nummernzetterl dürfen wir in die Wartezone vordringen. Ich habe mich auf stundenlange Warterei eingestellt (deutliche Warnung aus dem Ausländerforum) und vorsorglich meinen Kindle eingepackt. Nun, zum Lesen werde ich nicht kommen – vor uns warten lediglich zwei Damen, fünf Schalter sind besetzt. Ein wenig aufgeregt sind wir auch schon. Haben wir auch wirklich alles dabei oder ist uns in der Vorbereitung genau das eine Formblatt durch die Lappen gegangen, ohne das aber wirklich absolut nichts geht?
Da ertönt der Summer, auf der Anzeige erscheint in Leuchtschrift, dass sich H024 dem Schalter 5 nähern darf. Dort sitzt laut Namensschild Miguel M., der uns auch ganz freundlich begrüßt. Ich trage unsere Wünsche vor (diesmal gelingt mir das ganze Wort Empadronamiento, wenngleich sehr langsam und getragen, aber insofern der Würde des Augenblicks angemessen). Mit einem lauten Bumperer legt Rudolf den dicken Bene Ordner mit allen Unterlagen auf den Schalter und verdeutlicht Miguel damit nonverbal: „gö, do schaust.“ Miguel zuckt nicht einmal mit der Wimper und wartet darauf, dass Rudolf die ersten Dokumente aus dem Ordner schält. Es sind sehr offiziell aussehende, mehrseitige Schwarten mit dem spanischen Wappen und allen möglichen Ministeriumssiegeln – jeweils fünf Stück, für jede/n Dömötör eine. Miguel nimmt den dicken Packen entgegen, wirft einen Blick darauf und verkündet nicht unfreundlich, dass wir damit bei ihm nicht an der richtigen Adresse sind. Mir steigt die Hitze auf. Das darf ja wohl nicht wahr sein! „Aber! Wir haben das Dokument von der offiziellen Meldeamtseite runtergeladen!“ sprudele ich hektisch hervor. „Das mag schon so sein“, gesteht Miguel mir gerne zu, „trotzdem ist das nicht das Dokument, das ich für euer Empadronamiento brauche!“ Miguel zeigt die schönen bunten wappenverzierten Seiten seiner Kollegin, die auch nur den Kopf schüttelt. Was nun? Ich merke, dass uns die Felle davon schwimmen, Miguel scheint uns schon fortschicken zu wollen. „Wenn das gerade nicht die richtigen Dokumente waren, macht es gar nichts, wir haben ja noch so viele andere da!“ verkünde ich mit streberhaftem Eifer. Rudolf blättert hektisch im Ordner. Was könnten wir Miguel als nächstes anbieten? „Was willst du sehen?“ frage ich ihn. Er erklärt, dass er für die Wohnsitzanmeldung nur den Mietvertrag und unsere Reisepässe benötigt. Nicht mehr und nicht weniger. Rudolf legt ihm das Gewünschte vor, Miguel beginnt in den Computer zu tippen. Na aber hallo, das ist nun auch wieder etwas unbefriedigend, oder? Nur der Mietvertrag und die Reisepässe? Wozu hat Rudolf einen ganzen Ordner gefüllt, alles liebevoll sortiert und katalogisiert? Ich finde, diese Arbeit sollte nicht vergebens gewesen sein: Irgendein Dokument, an das Miguel vielleicht selbst gerade gar nicht gedacht hatte, interessiert ihn eventuell doch noch? „Was können wir dir noch zeigen? Geburtsurkunden der Kinder?“ biete ich an. Miguel schüttelt den Kopf. Nein, er braucht wirklich nix mehr. „Wir haben sogar die Ausweiskopien der Vermieter da!“ versuche ich es noch ein letztes Mal. Aber auch die will er nicht sehen. "Preguntar no cuesta nada!*" deklamiere ich in fließendem Spanisch eine für alle Amtsgeschäfte und sonstige Lebenslagen sehr beliebte österreichische Weisheit. Miguel nickt anerkennend dazu.
Der Drucker druckt, der Stempel stempelt, Miguel krakelt eine Paraphe über die blaue Tinte. Fünf Mal insgesamt. Jeder von uns ist nun offizieller Einwohner Barcelonas. Beschwingt und froh bedanken wir uns und verlassen fröhlich das Meldeamt. Draußen scheint die Sonne, es ist schön warm. Auf einer Baustelle nebenan knattert ein Presslufthammer – Vöglein hört man entsprechend keine tirilieren. Das macht aber gar nichts: Nichts kann unsere Freude trüben. Auch der etwas blecherne Spanier mitten am Platz hebt seine Copa auf unser Wohl, während ich freudig unsere Einbürgerungspapiere in die Kamera halte.
An der Plaza Comas, dem Hauptplatz unseres Grätzels Les Corts, trinken wir noch einen Cafe con Leche und gönnen uns zur Feier des Tages ein „Bocadillo con Tortilla Francesa“ (daheim würden wir Eierspeisweckerl dazu sagen). Zu Fuß spazieren wir durch die Stadt, deren Einwohner wir nun auch offiziell sind, nach Hause.
Nach etwa einem halben Kilometer geraten wir in die erste Straßensperre der Separatisten. Etwa hundert friedliche Demonstranten stehen quer über die Fahrbahn und halten Banner und Fahnen in die Höhe. Das ist dann auch der einzige Straßenprotest, dem wir an diesem Tag persönlich und live begegnen. Die in den internationalen Medien gezeigten Bilder von Massenkrawallen und riesigen Ausschreitungen spielen sich tatsächlich nur in kleinen Teilen der Stadt ab. Abends spreche ich mit den Conserjes, sowie den Damen im Kinderfriseursalon gegenüber von unserem Haus über die Situation. Keiner von ihnen ist glücklich mit dem Protest, sie wollen weder eine Abspaltung von Spanien, noch diesen unnötigen Konflikt. Sie sind Katalanen, fühlen sich aber auch als Spanier. „In den Medien sieht man immer nur die Krawallierer“, beklagt sich Conserje Pedro. „Aber die normalen Leute wollen einfach in Ruhe und Frieden leben. Wir brauchen diese Fanatiker nicht.“
Später am Abend ertönt lautes Geklapper. Wir treten auf den Balkon und sehen uns um. Auf einer Handvoll Balkone rundherum stehen Menschen und klappern mit Töpfen und Pfannen, als Zeichen des Protests gegen die Gerichtsurteile. Das ist unglaublich laut. Dazwischen schallen „Llibertad! Llibertad presos politics!“ Rufe. Deutlich mehr Fenster und Balkontüren bleiben aber geschlossen. Manche stehen draußen, so wie auch wir, sehen und hören sich das Spektakel an, ohne daran aktiv teilzunehmen. Ich habe einen Clip davon auf meinem Facebook Profil gepostet, hier zu sehen.
Unser erster Abend als offizielle Einwohner Barcelonas vor der Kulisse eines separatistischen Konflikts: Wir sind hier als Österreicher, Eberauer, Klosterneuburger. Jetzt sind wir auch Barcelonesen. Aber eigentlich sind wir immer und in allererster Linie von Herzen überzeugte: EUROPÄER.
*Fragen kostet nix :-)